Dienstag, 16. Mai 2006

Die Verdummung oder Neo-Kultur

Da geschieht es einem heute ganz unbewusst, über diverse Situationen bei "We are Family" (Pro7) lachen zu müssen. Dafür hasse ich mich. Die persönliche Verdummung beginnt also früher, als man denkt. Man behauptet ja, Maturanten wären am Höchstand ihres Allgemeinwissens. Entweder eine dreckige Lüge, oder ein Verlust der Kritikfähigkeit auf Grund der "immensen Wissensadaption", man hofft auf Zweiteres.

Überhaupt hat die Neokultur, zumindest was Fernsehen und Musik betrifft, einen schleichenden Effekt. Bewusst laufen Sendungen am Nachmittag, die schwachsinnig sind, um das schauende Subjekt von jeglichem Gedanken abzuhalten. So schleicht sich langsam aber sicher Gewohnheit ein. Je länger dann gelungert wird, desto erbauender werden Sendungen. So kommen zuerst Talkshows, die einem das gesellschaftliche Kondensat nahe bringen, das sich langsam durch die Hirnwindungen schleicht und letztlich, berühren sie einen. Man bemitleidet dicke Menschen, die behaupten, sich zu gefallen, nicht mehr, man versteht sie. Türken, die plötzlich auf die Idee kommen, jede Frau ins Bett zu kriegen, bewundert man. Der Effekt, wie gesagt, ein Schleichender...
Weiter gehts dann mit MTV. Date my Mom. Anstatt Verachtung für jeden Teilnehmer/in zu empfinden, ist die Idee plötzlich ausgefallen und "cool", oder so. Dann, der absolute Kracher: "My Sweet Sixteen". Eine, auf den ersten Blick unmoralischere Sendung hat man noch nicht gesehen. Dass der Mensch egoistisch, rücksichtslos und grausam ist, ist weitestgehend bekannt. Aber jegliches moralische Denken so durch den Dreck zu ziehen, ist für jeden "gutbürgerlichen Menschen" alarmierend. Ein 16- jähriges Mädchen beschwert sich bei ihrer Großmutter, weil ihr Auto kein Neuwagen ist. Weiters folgt die Behauptung, dass sie eine Diva sei, und deshalb gerade einmal das Beste für sie gut genug ist. Diese verwöhnte Person hat in ihrem Leben nur an ihrer Verdummung gearbeitet, und diese perfektioniert. Allerdings, und das ist die Thematik, die ich nahelegen möchte, kann sogar dieser Schwachsinn angesehen werden, ohne auch nur eine Minute darüber nachzudenken, was eigentlich geschieht. Ein Werteverlust, der vom Konservativen beschrieben wurde, wundert einen Maturanten nicht mehr, und die Glamour-Divas, die meistens auch noch häßlich sind, tanzen einem allabendlich auf der Nase herum, und strecken einem den Arsch ins Gesicht. Eine Zukunftsgeneration geprägt von Idiotie, humaner Verarmung und Idolen wie Bushido wächst heran; ein Verein von Anarchisten- das meint Gangsta die Koks und Streetlife huldigen, Verhaltensmuster adaptieren, die jeden Vernunftsglauben bereits im Keim ersticken - ohne zu wissen, was dieses Wort bedeutet. Ein gepimpter Ride ist In, ein funktionierendes Hirn out.

Kinder

[...] Und ich war nicht nur zutiefst davon überzeugt, dass so ein Kind so etwas wie ein lüsterner Zwerg mit angeborener Grausamkeit ist, der sogleich die schlimmsten Züge seiner Gattung zum Ausdruck bringt und von dem sich die Haustiere in weiser Vorsicht abwenden. Nein, hinzu kam noch ein tief in mir verankertes Entsetzen, ein wahres Entsetzen vor dem endlosen Leidensweg, den das Dasein der Menschen darstellt. Der Säugling ist das einzige Lebewesen, das seine Gegenwart unmittelbar nach der Geburt durch unablässige Schmerzensschreie zum Ausdruck bringt, und zwar weil er leidet, weil er auf unerträgliche Weise leidet. [...] Jeder unparteiische Beobachter kann nur bestätigen, dass der Mensch nicht glücklich sein kann, er absolut nicht für das Glück geschaffen ist und ihn daher kein anderes Los erwarten kann, als Unglück zu verbreiten, indem er das Dasein seiner Mitmenschen ebenso unerträglich macht wie sein eigenes - seine ersten Opfer sind im allgemeinen die Eltern.

~ Michel Houllebecq - Die Möglichkeit einer Insel

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