Montag, 12. Juni 2006

Zentrum.

Bekannt durch Werbung, gibt es dieses zweifelhafte Medikament, oder zumindest diese Pille also tatsächlich. Und wider Erwartens ist es nicht nur als Raumdekoration geschaffen: Eine zylinderförmige, weiße Dose, gespickt mit einem schönen Spektralfarbenaufdruck und pfiffigem Slogan; das erinnert an so manche, etwas kleindimensionierte, Büchse, oder einem Aschenbecher aus Auslandsreisen. Konkret: ein nutzloses Andenken. Also perfekt für Schränke, die der Weltenbummler in seiner modernen Wohnung als Ausstellungsstück und Sammlung für Kultur- und Individualdenkmäler benützt, die an Hässlichkeit und Unnutzen kaum zu überbieten sind.
In jedem Fall steht nun der Beweis: Zentrum wird, der Verpackungsbeschreibung entsprechend – mit einem Schlückchen Wasser, vermutlich um die volle Wirkung entfalten zu können -, eingenommen. Jedoch platzt die erste Bombe bereits bei genauerem Studieren der Ingredienzien: Vergleicht man diese mit dem pfiffigen Slogan „Von A bis Zink“ wird nämlich rasch deutlich: für B wird Vitamin B verkauft. Eine Frechheit, zweifellos. Jedoch liegt der Zentrum- Wahnsinn anderswo:
Die Lebenserhaltung, also die Erhaltung- des- Lebens, zieht im sozialen Sinne ein gewisses Moralvorhalten mit sich, eine soziale Pflicht: die Enttäuschung der Mitmenschen, der Schmerz und Kummer - nicht zu rechtfertigen. Mit dieser Lebenserhaltung fallen einem ohnehin Pflichten zu, die eher als lästig, nervig oder meinethalben anstrengend angesehen werden, so zum Beispiel das Schauen vor dem Überqueren einer Straße, der Spiegelblick beim Einordnen, der Sicherheitsgurt, ja sogar das Abschließen der Türe und das Beheizen der Wohnung ist mit situationsgemäßem Aufwand verbunden, der, wenn möglich, umgangen wird. Ja, selbst das Essen würden wir irgendwann aufhören, wenn es uns möglich wäre. Aber der Lebenserhaltung ist das Zentrum nicht dienlich. Vielmehr dient es der Lebensverlängerung, wenn man Verpackung, Fernsehen und der hohen medizinischen Einschätzung von Vitaminen, Spurenelementen, Enzymen etc. blindlings Glauben schenkt. Wie dem auch sei ist die Lebensverlängerung doch eine weitestgehend peinliche Idee, deren Umsetzung sowohl sinnlos, als noch vielmehr traurig ist. Auch wenn man „gerne hier ist“, diese Möglichkeit soll ja bestehen, ist es mit 70, Krücken, einem toten Partner, Krampfadern, Falten und grauem Haupthaar – sofern noch vorhanden, sicher nicht mehr sonderlich ergreifend, „Ein Schloss am Wörthersee“ zu sehen- auch das Flimmern des Fernsehens verblasst mit dem trüben Auge. Daran ändert auch das Zentrum nichts.
Man sieht, das Zentrum ist fernab jeder Zentrale, sei sie denkerisch oder lebenserhaltend.

Abgesehen dieser faktischen Beobachtungen und Folgerungen ist auch jeder Glaube, das Zentrum ändere überhaupt irgendetwas, fernab jeder Zentrale. Der Gewissensbiss, der einem nach einer Saufnacht einredet, dem Körper Gutes zu tun, ist eine natürliche Reaktion, kein Schrei nach Zentren. Also wenn schon aufs Gewissen gehört werden muss, oder das Leben zwanghaft verlängert werden muss – ein masochistischer Gedankenzug – dann doch bitte nicht durch Vitaminkapseln. Meinetwegen ein wenig Sport, zumindest ein Apfel, aber doch nicht ein pseudo- gewissenhaftes Zentrum schlucken, und dann auch noch glauben „Das taugt mir jetzt, ist gesund“.

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