Mittwoch, 16. März 2011

Der Audifahrer und der Müllmann

Freilich schaut der Audifahrer grimmig. Vermutlich ist ihm etwas heiß an diesem nebelkalten Mittwochvormittag, der gleichsam ein Allerweltstag ist, ein Tag eben, den man immer, überall und jederzeit antrifft, kurz: der – und das gilt für Wien ganz besonders – nichts außergewöhnliches mit sich bringen wird. Jedenfalls scheint dem Audifahrer in seinem Audi etwas aufzusteigen, dass sich auch durch die Klimaanlage und durch das Fensteröffnen nicht so schnell wieder runterschlucken lässt. Wie ein Thermometer stelle ich ihn mir vor, den Audifahrer: genauso langsam und beständig wie das Quecksilber im Laufe des Tages nach oben klettern wird, steigt dem Audifahrer das Blut auf, so lange, bis ihm heiß wird und noch länger. Das kochende Blut führt naturgemäß zur Erwärmung des Körpers auch dann, wenn es draußen kalt ist – vielleicht ein Beweis für die umstrittene Psychosomatik, denke ich mir. Dass der Körper sich dann abkühlen will, ist die logische Konsequenz und deshalb tritt ganz oben am Körper des Audifahrers aus, was von unten aufgestiegen ist: Schweiß tropft auf sein Burberry- Hemd, vom Magen herauf steigt ihm der Groll und drückt ihm unter den Achseln, am Hals und auf der Stirn den Wutschweiß heraus. Wie ein Thermometer im Kochtopf sitzt der Audifahrer in seinem Audi, steckt im Stau und kocht über.
Ähnlich gehen wird es dem Müllmann. Der Müllmann steht in dem Moment, in dem ich ihn zum ersten Mal erblicke, schon geschätzte 5 Stunden auf dem fahrenden orangenen Mistkübel, der alles schluckt, was dem Wiener Haushalt zu grausig ist. Das frühe Aufstehen, den Gestank und die eigentlich hundsgemeine Aufmachung – das hässliche orangene Ding, das ihn als Mistkübler brandmarkt – dürfte der Müllmann schon gewohnt sein, die ärgste Kälte ist auch vorüber: eigentlich ein guter Tag für einen Müllmann, denke ich mir nicht ganz ohne Zynismus, aber auch nicht ohne Mitleid. Trotzdem steigt auch dem Müllmann der kalte Schweiß auf die zornig heiße Stirn. Er hat nämlich einen Mistkübel nicht ordnungsgemäß in den Wagen verhackt, sodass nur eine Seite des besagten Mistkübels – ein Restmüllbehälter der größeren Sorte – aufgehoben wurde und schließlich aus der Verankerung brach, zu Boden fiel und selbigen verdreckte, weil der Restmüllbehälter selbstverständlich voll mit Restmüll war, jetzt aber leer ist, weil sein Inhalt die Neubaugasse im siebenten Wiener Gemeindebezirk ziert. Der Müllmann hat Mist gebaut.
Es ist, stelle ich mir als Straßenbahnfahrer zumindest vor, bestimmt eine ärgerliche Sache, in Wien dem Müllwagen nachfahren zu müssen. Da bleibt der an jeder Ecke stehen, lädt Mist auf, dabei macht der Wagen Lärm, es stinkt vielleicht sogar bis ins Auto hinein, Stau bildet sich: Stop and Go ohne Ampeln eben, an jeder Haustüre. Jetzt hat der Audifahrer vermutlich – wie die anderen im Stau hinter dem Mistwagen – das Pech, den Mistwagen nicht umfahren zu können, was ärgerlich genug ist. Aber dann, wird er sich denken, ist der Mistkübler auch noch ein unfähiger Depp, und jetzt haben wir den Salat, den keiner haben wollte: ein einsamer, oranger Mann steht auf der Straße umzingelt von schönen und teuren Autos und sammelt den Dreck ein, den die schönen Autos nicht mehr haben wollten. Dabei muss sich der Orangene hin und wieder eine Hupe, ein zärtlich wienerisches „Oaschloch“ oder einfach einen Stinkefinger gefallen lassen, was wiederum den Schweiß auf seiner Stirn erklärt: Groll und Wut, gepaart mit ein bisschen Angst und Nervosität, dazu die Hektik des Aufsammelns. Aus Stop and Go wird Stop für die Meisten, nicht aber für ihn. Er verflucht in diesem Augenblick wohl sein Leben, das in solchen Momenten immer Personencharakter hat: das will ihn pflanzen, das Leben! Aber „es hilft nichts“, wird er sich sagen, und „es ist wie es ist“, und so klaubt er mühselig und so rasch er kann den Mist vom Boden in den Mistwagen hinein. Immer heißer wird auch ihm dabei, immer mehr steigt es ihm auf und immer schwieriger schluckt es sich hinunter, und doch: es gelingt ihm, die Fassung zu behalten, auch wenn sie den restlichen Tag bitter schmeckt. Die Krankenkassenpsychologin und Hobbyesoterikerin, die neben ihrem von den Eltern – übrigens auch Audifahrer – gesponsertem 9 Jahre dauerndem Psychologiestudium spiritistische Meditations- und Heilkunstkurse besucht hat, wird ihm in ein paar Jahren einmal sagen, er dürfe seine Wut nicht immer hinunterschlucken. Das wird aber der Müllmann auch so wissen, genauso wie er jetzt schon weiß, dass er sie auch nicht herauslassen darf, die Wut, weil er sonst überhaupt nichts mehr zu schlucken hat, weil er sonst nicht mehr den Müll verräumen darf, den andere für ihn machen, damit er Arbeit hat. Deshalb wird ihm auch der Rat der Psychologin nur halb so viel helfen, wie das Bier, das zum Runterschlucken der Wut hilft, weil es sie regelrecht runterspült, und die Tabletten, die ihm die Psychologin verschreibt, weil die von vornherein betäuben, was da aufsteigen will und so wird er weiterschlucken, bis er selbst nur noch ein Haufen Müll ist, den andere dann wegwerfen, eingraben oder verbrennen.


Gestresst und verschwitzt fuchtelt der Audifahrer mit seinem Handy herum, sagt seiner Sekretärin höchstwahrscheinlich, dass er es nicht rechtzeitig um neun ins Büro schaffe, weil er im Stau stecke und hupt immer wieder vor sich hin. Die Sekretärin versichert ihm, den Kaffee auf halb 10 aufzusetzen, sie kümmere sich derweil um Kunden, falls denn welche kämen. Immer noch verärgert legt der Audifahrer auf, langsam sieht er, wie sich der Stau lockert. Der Schweiß steht ihm noch immer auf der roten Grollbirne, aber auch er hat sich wieder gefangen. Er ist jetzt wieder ganz Geschäftsmann, trocknet sich die feuchte Stirn mit einem weißen Taschentuch und zündet sich eine Zigarette an. Der Müllwagen, der jetzt auf die Busspur ausgewichen ist, um die Kolonne hinter ihm vorbeizulassen, ist fertig beladen, der unglückliche Mistkübler steht da, wo er immer steht und sieht den Autos beim Vorbeifahren zu. Der Audifahrer wird auf Höhe des Müllmanns immer langsamer, fährt Schrittempo und kurbelt das Fenster hinunter: „Sogar für die Müllabfuhr bist du z'deppad“, schreit er dem Mistkübler aus dem Fenster hinaus und steigt daraufhin ins Gas, wodurch 215 Ps aufheulen und den Mistkübler in einer Lärm- und Abgaswolke stehen lassen. Auch die wird er schlucken müssen, der Müllmann, aber immerhin ist der Audifahrer zu seinem Recht gekommen – „man kann sich ja nicht alles gefallen lassen“, wird er seinen Kollegen später stolz erzählen, wo käme man da hin?
Ja, tatsächlich: wo käme man da hin? Vermutlich nur zur Müllabfuhr.

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