Ländliche Betrachtungen: Der Totengräber vom Bergfriedhof
Leicht nervös fummle ich in meinen Hosentaschen, in mir herrscht Unruhe. Der Bergfriedhof, dessen Wiese bei jedem Schritt schmatzt und dessen Feuchte bei jedem dieser Schritte ein wenig tiefer in die Turnschuhe dringt, liegt auf einer Anhöhe mit Seeblick. An sich eine schöne letzte Ruhestätte, denke ich mir, aber an verregneten Tagen – und hier sind die meisten Tage verregnet – überkommt Einen dennoch und unweigerlich ein Ansturm von Tristesse und Unruhe, wenn er sich auf diesem Friedhof aufhält und den Fehler begeht, über selbigen auch noch nachzudenken. Ich stelle mir vor, wie ich eigentlich gerade im Leichensaft stehe und weil ich weiß, dass dieser Friedhof sein 100-jähriges Jubiläum bereits hinter sich hat, mischt sich die Unruhe mit Grauen. Weil aber der Totengräber unweigerlich – ursprünglich hatte ich ja die Hoffnung, dieser würde nicht auf mich, sondern bloß in meine Richtung, steuern – auf mich zukommt, bohrt sich wieder die Frage, worüber denn mit ihm zu sprechen sei, in die Oberfläche meines Bewusstsein.
Da mich weder die Zukunftsangst noch eine gegenwärtige Wartungsarbeit auf den Friedhof treibt, fällt ein Gespräch über Geschäftliches ins Wasser. Auch Persönliches habe ich mit dem Totengräber nicht auszutauschen, ich kenne den Mann nur vom Hörensagen, wie man Totengräber prinzipiell nur vom Hörensagen kennt – wer ihn kennen lernt, sagt man am Land wenig schmeichelhaft, habe es für gewöhnlich ‚hinter sich gebracht‘. Dahinter verbirgt sich neben der ländlichen Hauruck-Mentalität karger Gebirgslandschaften wohl ein sozialer Fakt und ich hoffe - da ich an meinem Leben hänge -, dass er sich nicht bewahrheiten möge.
Der Totengräber wirkt alles andere als unruhig. Er ist ein mächtiger Mann, wie ich bemerke, groß, kräftig. Er hat einen regelrechten ‚Plutzer‘ denke ich mir und freue mich, dass mir ein so schönes Dialektwort für seinen Wasserkopf eingefallen ist. Der Plutzer ist es auch, der mich zunächst von meiner Unruhe befreit, weil ich innerlich ins Schmunzeln gerate und der Totengräber ebenfalls lächelnd vor mich tritt und mich fragt, ob ich einmal Probe liegen wolle. Dabei lacht er heftig, wodurch sein Plutzer beinahe unnatürlich heftig von einer Seite zur anderen geschleudert wird. Erst jetzt bemerke ich die unwirkliche Größe der Hände des Totengräbers, der auf mich herunterblickt wie auf einen Schulbuben.
Ich erkläre ihm, dass ich eigentlich mit meinem Freund – dem Friedhofswärter – hier verabredet sei und ihn, den Totengräber, nicht von seiner Arbeit abhalten wolle solange ich auf ihn, den Friedhofswärter und also meinen Freund, warten müsse. Der Totengräber erwidert, dass ihm hier ohnehin nichts davonlaufe. Dabei beginnt sein Plutzer wieder heftig zu wanken und ich befürchte einen Augenblick lang, dass er abfallen könnte, was angesichts des dünnen Halses, auf dem er befestigt ist, alles andere als unwahrscheinlich wirkt.
Der Totengräber fragt mich, ob ich aus der Gegend sei und ob ich gedenke, auch einmal hier zu ruhen. Ich verneine beides, erzähle ihm, dass ich mich, zwar hier aufgewachsen, schon einige Zeit in den Städten unseres Landes aufhalte und dass ich mich, in ferner Zukunft, einmal einäschern lassen wolle. Da nickt der Totengräber bekräftigend und sagt, dass einäschern ohnehin gescheiter sei. Sowohl ökonomisch – „ vor ollem am Laund sand die Grobplätz knobb“ als auch ökologisch – „außerdem rinnt, an Taugen wia heind, da gauonze Friedhof an See eini.“ Bei diesen Worten muss ich unweigerlich an Thomas Bernhard denken. Ich frage den Totengräber, wie viele Leute er jährlich einzugraben hat. Das wisse er nicht, erwidert er, es seien zu viele. „5,6 de Wochn, in orgen Wouchen warns schon moul 13,14 auoch.“ Aufs Jahr zähle er nicht mit. Angesichts des kleinen Städtchens sind wöchentlich 6 Tote eine ganz ordentliche Zahl, denke ich, beinahe erschrocken.
Der Totengräber erzählt, dass es manchmal schwierig ist, die Leute zu verscharren, vor allem, weil hier alles so feucht ist. Seinerzeit, als er noch in der Steiermark Tote begrub, kannte er solche Probleme nicht, weil da alles trocken war. Aber hier sei alles ein bisserl kurios. Da habe er schon Leute exhuminiert, die nach 12, 13 Jahren nicht verfault gewesen waren, weil unter dem Friedhof das Grundwasser so hoch sei. Auch die Gruften der Reichen erzählt er mit einem Schmunzeln, stehen für gewöhnlich unter Wasser. „Wennst dou die Tür aufmouchst, kounns da passieren, dass da a Soarg entgegnschwimmt“ sagt er mit einem Lachen, das den Plutzer hüpfen lässt. Dann muss die Wasserrettung kommen und die Gruft auspumpen, erzählt er, was bei den Wasserrettern nicht selten zu Übelkeit und Erbrechen führe.
Über den eigenartigen Witz des Totengräbers muss ich lachen. Er scheint ein eigenartig lebensfroher Mensch zu sein, dieser Totengräber. Er hat den morbiden ‚Schmäh‘ des Wieners, spart sich aber den ebenfalls morbiden ‚Grant‘ desselben, denke ich. Jedenfalls amüsiert mich dieser Totengräber; er erzählt noch ein paar Anekdoten über das Friedhofstreiben, die allesamt von außerordentlicher Absurdität sind, so dass ich immer öfter in das Wanken des Plutzers miteinstimmen muss.
Zum Beispiel habe einmal eine alte Dame ein Grab für sich reservieren wollen. Sie habe ja schließlich niemanden gehabt, der noch dafür Sorge hätte tragen können und schließlich – so der Gedanke der Dame – müsse auch sie irgendwo liegen. Der Totengräber aber habe aus Platzgründen keine Reservierungen annehmen können. Er brauche die Plätze für die wirklich Toten und nicht für die, die es bald sein werden. Die alte Frau war daraufhin, so der Totengräber, etwas enttäuscht von Dannen gezogen, weshalb sich der Totengräber genötigt sah, ihr noch einmal zu versichern, dass bei ihm noch alle ‚ein Platzerl‘ gefunden hätten.
Ein anderes Mal, erzählt der Totengräber, habe die Tochter eines Verstorbenen versucht, dessen Grabstein auszutauschen, habe dabei aber am falschen Grab herumgepfuscht. Sie wollte den Grabstein bei ihr im Garten aufstellen, erzählte sie später der Polizei, als in den nächsten Tagen eine Anonymanzeige wegen Grabschändung durch die Bezirksblätter grassierte und die Tochter schließlich bemerkte, dass ihren Garten der Grabstein eines Fremden zierte.
Inzwischen war auch mein Freund, der Friedhofswärter, angekommen und hatte sich zu uns gesellt. Der Totengräber verabschiedete sich – auf ihn warte schließlich immer Arbeit, wahrscheinlich sei er so etwas wie der moderne Sisyphos, sagt er und verabschiedet sich. Ich wundere mich über diese Bemerkung und frage mich, ob dieser Mensch echt ist. Ein lustiger, obendrein gebildeter Totengräber am Bergfriedhof in Zell am See weckt in mir kurzzeitig den Gedanken, langsam aber sicher dem Irrsinn zu verfallen.
Ich frage deshalb meinen Freund, den Friedhofswärter, nach dem Totengräber.
Dieser aber bemerkt beim Wegmaschieren lapidar nichts weiter, als dass für den Totengräber das Grab stets halbvoll sei. Auch er, der Friedhofswärter, scheint sich seinen Witz vom Totengeschäft nicht vermiesen zu lassen und ich denke mir, dass es vielleicht keine ungesunde Lebenseinstellung ist, vom halbvollen Grab auszugehen. Vergnügt über das viel zu seltene Wiedersehen ziehen wir vom Friedhof in Richtung Friedhofslokal und trinken ein Bier, unterhalten uns. Viel zu schnell sind die Gläser halb leer, sage ich zum Friedhofswärter. Ja, erwidert er lachend, aber immerhin lebt man in einer feuchten Gegend. Schneller als ich schauen kann sind die Gläser wieder halb voll. Der Barkeeper zwinkert mir zu und ich denke mir, dass auch hier einer Sisyphos-Arbeit leistet.
Da mich weder die Zukunftsangst noch eine gegenwärtige Wartungsarbeit auf den Friedhof treibt, fällt ein Gespräch über Geschäftliches ins Wasser. Auch Persönliches habe ich mit dem Totengräber nicht auszutauschen, ich kenne den Mann nur vom Hörensagen, wie man Totengräber prinzipiell nur vom Hörensagen kennt – wer ihn kennen lernt, sagt man am Land wenig schmeichelhaft, habe es für gewöhnlich ‚hinter sich gebracht‘. Dahinter verbirgt sich neben der ländlichen Hauruck-Mentalität karger Gebirgslandschaften wohl ein sozialer Fakt und ich hoffe - da ich an meinem Leben hänge -, dass er sich nicht bewahrheiten möge.
Der Totengräber wirkt alles andere als unruhig. Er ist ein mächtiger Mann, wie ich bemerke, groß, kräftig. Er hat einen regelrechten ‚Plutzer‘ denke ich mir und freue mich, dass mir ein so schönes Dialektwort für seinen Wasserkopf eingefallen ist. Der Plutzer ist es auch, der mich zunächst von meiner Unruhe befreit, weil ich innerlich ins Schmunzeln gerate und der Totengräber ebenfalls lächelnd vor mich tritt und mich fragt, ob ich einmal Probe liegen wolle. Dabei lacht er heftig, wodurch sein Plutzer beinahe unnatürlich heftig von einer Seite zur anderen geschleudert wird. Erst jetzt bemerke ich die unwirkliche Größe der Hände des Totengräbers, der auf mich herunterblickt wie auf einen Schulbuben.
Ich erkläre ihm, dass ich eigentlich mit meinem Freund – dem Friedhofswärter – hier verabredet sei und ihn, den Totengräber, nicht von seiner Arbeit abhalten wolle solange ich auf ihn, den Friedhofswärter und also meinen Freund, warten müsse. Der Totengräber erwidert, dass ihm hier ohnehin nichts davonlaufe. Dabei beginnt sein Plutzer wieder heftig zu wanken und ich befürchte einen Augenblick lang, dass er abfallen könnte, was angesichts des dünnen Halses, auf dem er befestigt ist, alles andere als unwahrscheinlich wirkt.
Der Totengräber fragt mich, ob ich aus der Gegend sei und ob ich gedenke, auch einmal hier zu ruhen. Ich verneine beides, erzähle ihm, dass ich mich, zwar hier aufgewachsen, schon einige Zeit in den Städten unseres Landes aufhalte und dass ich mich, in ferner Zukunft, einmal einäschern lassen wolle. Da nickt der Totengräber bekräftigend und sagt, dass einäschern ohnehin gescheiter sei. Sowohl ökonomisch – „ vor ollem am Laund sand die Grobplätz knobb“ als auch ökologisch – „außerdem rinnt, an Taugen wia heind, da gauonze Friedhof an See eini.“ Bei diesen Worten muss ich unweigerlich an Thomas Bernhard denken. Ich frage den Totengräber, wie viele Leute er jährlich einzugraben hat. Das wisse er nicht, erwidert er, es seien zu viele. „5,6 de Wochn, in orgen Wouchen warns schon moul 13,14 auoch.“ Aufs Jahr zähle er nicht mit. Angesichts des kleinen Städtchens sind wöchentlich 6 Tote eine ganz ordentliche Zahl, denke ich, beinahe erschrocken.
Der Totengräber erzählt, dass es manchmal schwierig ist, die Leute zu verscharren, vor allem, weil hier alles so feucht ist. Seinerzeit, als er noch in der Steiermark Tote begrub, kannte er solche Probleme nicht, weil da alles trocken war. Aber hier sei alles ein bisserl kurios. Da habe er schon Leute exhuminiert, die nach 12, 13 Jahren nicht verfault gewesen waren, weil unter dem Friedhof das Grundwasser so hoch sei. Auch die Gruften der Reichen erzählt er mit einem Schmunzeln, stehen für gewöhnlich unter Wasser. „Wennst dou die Tür aufmouchst, kounns da passieren, dass da a Soarg entgegnschwimmt“ sagt er mit einem Lachen, das den Plutzer hüpfen lässt. Dann muss die Wasserrettung kommen und die Gruft auspumpen, erzählt er, was bei den Wasserrettern nicht selten zu Übelkeit und Erbrechen führe.
Über den eigenartigen Witz des Totengräbers muss ich lachen. Er scheint ein eigenartig lebensfroher Mensch zu sein, dieser Totengräber. Er hat den morbiden ‚Schmäh‘ des Wieners, spart sich aber den ebenfalls morbiden ‚Grant‘ desselben, denke ich. Jedenfalls amüsiert mich dieser Totengräber; er erzählt noch ein paar Anekdoten über das Friedhofstreiben, die allesamt von außerordentlicher Absurdität sind, so dass ich immer öfter in das Wanken des Plutzers miteinstimmen muss.
Zum Beispiel habe einmal eine alte Dame ein Grab für sich reservieren wollen. Sie habe ja schließlich niemanden gehabt, der noch dafür Sorge hätte tragen können und schließlich – so der Gedanke der Dame – müsse auch sie irgendwo liegen. Der Totengräber aber habe aus Platzgründen keine Reservierungen annehmen können. Er brauche die Plätze für die wirklich Toten und nicht für die, die es bald sein werden. Die alte Frau war daraufhin, so der Totengräber, etwas enttäuscht von Dannen gezogen, weshalb sich der Totengräber genötigt sah, ihr noch einmal zu versichern, dass bei ihm noch alle ‚ein Platzerl‘ gefunden hätten.
Ein anderes Mal, erzählt der Totengräber, habe die Tochter eines Verstorbenen versucht, dessen Grabstein auszutauschen, habe dabei aber am falschen Grab herumgepfuscht. Sie wollte den Grabstein bei ihr im Garten aufstellen, erzählte sie später der Polizei, als in den nächsten Tagen eine Anonymanzeige wegen Grabschändung durch die Bezirksblätter grassierte und die Tochter schließlich bemerkte, dass ihren Garten der Grabstein eines Fremden zierte.
Inzwischen war auch mein Freund, der Friedhofswärter, angekommen und hatte sich zu uns gesellt. Der Totengräber verabschiedete sich – auf ihn warte schließlich immer Arbeit, wahrscheinlich sei er so etwas wie der moderne Sisyphos, sagt er und verabschiedet sich. Ich wundere mich über diese Bemerkung und frage mich, ob dieser Mensch echt ist. Ein lustiger, obendrein gebildeter Totengräber am Bergfriedhof in Zell am See weckt in mir kurzzeitig den Gedanken, langsam aber sicher dem Irrsinn zu verfallen.
Ich frage deshalb meinen Freund, den Friedhofswärter, nach dem Totengräber.
Dieser aber bemerkt beim Wegmaschieren lapidar nichts weiter, als dass für den Totengräber das Grab stets halbvoll sei. Auch er, der Friedhofswärter, scheint sich seinen Witz vom Totengeschäft nicht vermiesen zu lassen und ich denke mir, dass es vielleicht keine ungesunde Lebenseinstellung ist, vom halbvollen Grab auszugehen. Vergnügt über das viel zu seltene Wiedersehen ziehen wir vom Friedhof in Richtung Friedhofslokal und trinken ein Bier, unterhalten uns. Viel zu schnell sind die Gläser halb leer, sage ich zum Friedhofswärter. Ja, erwidert er lachend, aber immerhin lebt man in einer feuchten Gegend. Schneller als ich schauen kann sind die Gläser wieder halb voll. Der Barkeeper zwinkert mir zu und ich denke mir, dass auch hier einer Sisyphos-Arbeit leistet.
ledsgo - 4. Aug, 17:52