Städtische Betrachtungen: Paranoide Kaffeehäusler oder wie man Klischees bedient
Wie es scheint haben selbst die Sandler Ferien. An der Maria-Hülf-Kirche jedenfalls sitzen sie heute nicht. Nur ein vereinsamter nuckelt an seinem Tetra-Pack Rotwein als wäre es die Brust der heiligen Mutter selbst, der Rest ist ausgewandert, wie das sommerliche Wien überhaupt auswandert, wenn es kann. Normalerweise treffen sie sich hier zu Dutzenden, diskutieren, trinken und lachen wie das andere Menschen auch tun. Die einen trinken warmen Wein, die anderen kühles Draft-Beer in Irish Pubs oder ein Achterl Weiß mit Zitrone, je nachdem, wie wichtig man sich fühlt; ansonsten sind die Leute dort wie da gleich. Ich scheine da schon eher eine Ausnahme darzustellen – so wie der Einzelkämpfer, der an die Maria Hülf angelehnt noch immer an deren Busen saugt, als würde es was nutzen – und fahre gerade dann nach Wien, wann sonst der Hitze entflieht, wer nur fliehen kann. Ich frage mich, wohin die Vagabunden wohl ziehen, aber vielleicht haben sie ja auch Familie am Land und sind nur teilzeitarm, vielleicht führen sie ein Doppelleben und sind nur in Wien obdachlos, während sie zuhause vorgeben, in der Stadt das Glück gefunden zu haben. Oder aber sie besuchen Freunde, die am Land obdachlos sind,… Wie dem auch sei: selbst die Bettler machen Hitzeurlaub.
Ich für meinen Teil aber bin unterwegs zu einem Treffen, Urlaub ist mir fremd. Ich soll mich im Kaffee Kafka mit einem Literaturwissenschaftler treffen. Freilich, das ist eine lächerliche Angelegenheit, aber das Nützliche ist oft lächerlich und einschlägige Kontakte haben nicht selten tatsächlich etwas Einschlagendes, sodass man sie gerne pflegt.
Im Kaffee angekommen bemerke ich rasch, dass mein Gesprächspartner noch auf sich warten lässt. Ich setze mich und bestelle ein Bier, zünde dazu eine Zigarette an und bitte das hübsche Mädchen um Zünder, da ich mein Feuerzeug vergessen habe. Lächelnd zündet sie die Zigarette an und verschwindet selbstzufrieden: sie muss bemerkt haben, dass sie mir gefällt, aber das stört mich nicht. Im Gegenteil: ihre kindliche Freude darüber erfreut auch mich und so trinke ich vergnügt. Tatsächlich gibt es ein Bücherregal voll mit Kafkawerken, an den Wänden hängen Bilder des Dichters. Auch andere Dichter hängen an den Wänden herum, die meisten davon kenne ich aber, ohne mich dafür schämen zu müssen, nicht: zweifellos, der Besitzer hat seine Hausaufgaben gemacht, auch wenn sich Geschäftsgeist und poetisches Wesen nur selten kombinieren lassen und auch hier zeigt sich, dass der Schöngeist nur selten kaufmännisches Geschick besitzt: das Lokal ist beinahe leer.
Plötzlich bemerke ich, dass am Nachbartisch einer sitzt, der ständig zu mir herüberschaut. Vielleicht gefalle ich auch ihm, denke ich mir, aber da er ungepflegt wirkt, wirkt er auch hetero. Zu schäbig, um vergeben zu sein ist es wohl einer, der sein Liebesleben schon aufgegeben hat und sich nun der Kunst oder Ähnlichem zuwendet. Den Stolz der Schwulen jedenfalls besitzt er nicht, zu seinen Ungunsten, wäre er doch mit ein bisschen gutem Willen durchaus nicht unansehnlich.
Unwillkürlich nehme ich nun an dem Gespräch der beiden Männer teil. Es ist ein Verhandlungsgespräch. Der ungepflegte Hetero arbeitet für einen wissenschaftlichen Verlag, der noch ungepflegtere Kerl an dem Tisch sei Mathematiker, der seine Diplomarbeit veröffentlichen wolle. Warum er, als Mathematiker, sich gerade für diesen Verlag entscheiden solle, fragt er. Er dürfte einen günstigen Verhandlungsstandpunkt innehaben, weil er – entgegen seinem eher verkrampften Naturell – ein arrogantes Gesicht aufsetzt. Immer wieder betont der Mathematiker seinen mathematischen Standpunkt. Dabei ist sein mathematischer Geist verobjektiviert: sein fettiges Haar hängt ihm in den Rücken, sein schwarzes T-Shirt ziert ein Unendlichkeitszeichen vorne, hinten steht der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch:
~ (A ^ ~A)
Es ist ihm wichtig, dass das ganze Kaffeehaus und seinen mathematischen Geist wahrnimmt. Ein absurdes Unterfangen, weil das Kaffeehaus ohnehin so gut wie leer ist. Plötzlich – ich trinke inzwischen mein zweites Bier und warte noch immer – springt der Verleger auf und fragt mich erbost, warum ich sie belausche. Das mache ich durchaus nicht, antworte ich dem Paranoiker, auch wenn das gelogen ist. Immerhin war er es, der mich zum Lauschen animierte. Kein Mensch, so der Verleger, gehe alleine ins Kaffeehaus. Ich wolle seine Ideen bezüglich des Buches klauen, ruft er, sodass die Kellnerin aufmerksam wird.
Ich frage ihn, woher er wisse, dass ich alleine sei. Es könnte ja sein, dass ich mit mehreren, nur mir sichtbaren Leuten, an einem Tisch säße. Ich lache dabei versöhnlich und möchte ihn beschwichtigen: ich würde bloß warten und sei an seinem Buch nicht im Geringsten interessiert. Er aber kann über meinen schizophilen Witz nicht lachen. Der Mathematiker sagt, dass er mit einer derartigen Frechheit nicht gerechnet habe. Er meint es durchaus nicht scherzhaft und verlangt nach der Rechnung. Die beiden bezahlen murrend und fragen die Kellnerin, ob sie mit mir unter einer Decke stecken würde. Nun, das wäre doch zu schön, erwidere ich lachend, als plötzlich meine Verabredung eintritt. Schimpfend verlassen die Beiden Figuren das Kaffee und der Herr Literaturwissenschaftler fragt, womit er eine solch kafkaeske Szene eigentlich verdient habe.
Nun, sage ich, eine Wiener Kaffeehausgeschichte erzählt man doch heutzutage wirklich nicht mehr. Schon gar nicht eine, in die ein Paranoiker und ein Mathematiker verwickelt sind und die, unter glücklichen Umständen, mit einer Liebesnacht endet. Eine Kaffee-Kafka-Literaturwissenschaftler-Geschichte. Wer soll denn sowas lesen? Kann man denn sowas überhaupt noch ernsthaft erzählen?
Da lacht der Literaturwissenschaftler: durchaus nicht, durchaus nicht! Sowas erzählt man nicht, heute nicht mehr. Das wäre doch zu billig, zu billig.
Na also, sage ich, und lasse es bleiben.
Ich für meinen Teil aber bin unterwegs zu einem Treffen, Urlaub ist mir fremd. Ich soll mich im Kaffee Kafka mit einem Literaturwissenschaftler treffen. Freilich, das ist eine lächerliche Angelegenheit, aber das Nützliche ist oft lächerlich und einschlägige Kontakte haben nicht selten tatsächlich etwas Einschlagendes, sodass man sie gerne pflegt.
Im Kaffee angekommen bemerke ich rasch, dass mein Gesprächspartner noch auf sich warten lässt. Ich setze mich und bestelle ein Bier, zünde dazu eine Zigarette an und bitte das hübsche Mädchen um Zünder, da ich mein Feuerzeug vergessen habe. Lächelnd zündet sie die Zigarette an und verschwindet selbstzufrieden: sie muss bemerkt haben, dass sie mir gefällt, aber das stört mich nicht. Im Gegenteil: ihre kindliche Freude darüber erfreut auch mich und so trinke ich vergnügt. Tatsächlich gibt es ein Bücherregal voll mit Kafkawerken, an den Wänden hängen Bilder des Dichters. Auch andere Dichter hängen an den Wänden herum, die meisten davon kenne ich aber, ohne mich dafür schämen zu müssen, nicht: zweifellos, der Besitzer hat seine Hausaufgaben gemacht, auch wenn sich Geschäftsgeist und poetisches Wesen nur selten kombinieren lassen und auch hier zeigt sich, dass der Schöngeist nur selten kaufmännisches Geschick besitzt: das Lokal ist beinahe leer.
Plötzlich bemerke ich, dass am Nachbartisch einer sitzt, der ständig zu mir herüberschaut. Vielleicht gefalle ich auch ihm, denke ich mir, aber da er ungepflegt wirkt, wirkt er auch hetero. Zu schäbig, um vergeben zu sein ist es wohl einer, der sein Liebesleben schon aufgegeben hat und sich nun der Kunst oder Ähnlichem zuwendet. Den Stolz der Schwulen jedenfalls besitzt er nicht, zu seinen Ungunsten, wäre er doch mit ein bisschen gutem Willen durchaus nicht unansehnlich.
Unwillkürlich nehme ich nun an dem Gespräch der beiden Männer teil. Es ist ein Verhandlungsgespräch. Der ungepflegte Hetero arbeitet für einen wissenschaftlichen Verlag, der noch ungepflegtere Kerl an dem Tisch sei Mathematiker, der seine Diplomarbeit veröffentlichen wolle. Warum er, als Mathematiker, sich gerade für diesen Verlag entscheiden solle, fragt er. Er dürfte einen günstigen Verhandlungsstandpunkt innehaben, weil er – entgegen seinem eher verkrampften Naturell – ein arrogantes Gesicht aufsetzt. Immer wieder betont der Mathematiker seinen mathematischen Standpunkt. Dabei ist sein mathematischer Geist verobjektiviert: sein fettiges Haar hängt ihm in den Rücken, sein schwarzes T-Shirt ziert ein Unendlichkeitszeichen vorne, hinten steht der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch:
~ (A ^ ~A)
Es ist ihm wichtig, dass das ganze Kaffeehaus und seinen mathematischen Geist wahrnimmt. Ein absurdes Unterfangen, weil das Kaffeehaus ohnehin so gut wie leer ist. Plötzlich – ich trinke inzwischen mein zweites Bier und warte noch immer – springt der Verleger auf und fragt mich erbost, warum ich sie belausche. Das mache ich durchaus nicht, antworte ich dem Paranoiker, auch wenn das gelogen ist. Immerhin war er es, der mich zum Lauschen animierte. Kein Mensch, so der Verleger, gehe alleine ins Kaffeehaus. Ich wolle seine Ideen bezüglich des Buches klauen, ruft er, sodass die Kellnerin aufmerksam wird.
Ich frage ihn, woher er wisse, dass ich alleine sei. Es könnte ja sein, dass ich mit mehreren, nur mir sichtbaren Leuten, an einem Tisch säße. Ich lache dabei versöhnlich und möchte ihn beschwichtigen: ich würde bloß warten und sei an seinem Buch nicht im Geringsten interessiert. Er aber kann über meinen schizophilen Witz nicht lachen. Der Mathematiker sagt, dass er mit einer derartigen Frechheit nicht gerechnet habe. Er meint es durchaus nicht scherzhaft und verlangt nach der Rechnung. Die beiden bezahlen murrend und fragen die Kellnerin, ob sie mit mir unter einer Decke stecken würde. Nun, das wäre doch zu schön, erwidere ich lachend, als plötzlich meine Verabredung eintritt. Schimpfend verlassen die Beiden Figuren das Kaffee und der Herr Literaturwissenschaftler fragt, womit er eine solch kafkaeske Szene eigentlich verdient habe.
Nun, sage ich, eine Wiener Kaffeehausgeschichte erzählt man doch heutzutage wirklich nicht mehr. Schon gar nicht eine, in die ein Paranoiker und ein Mathematiker verwickelt sind und die, unter glücklichen Umständen, mit einer Liebesnacht endet. Eine Kaffee-Kafka-Literaturwissenschaftler-Geschichte. Wer soll denn sowas lesen? Kann man denn sowas überhaupt noch ernsthaft erzählen?
Da lacht der Literaturwissenschaftler: durchaus nicht, durchaus nicht! Sowas erzählt man nicht, heute nicht mehr. Das wäre doch zu billig, zu billig.
Na also, sage ich, und lasse es bleiben.
ledsgo - 29. Aug, 12:30