Montag, 5. Dezember 2011

Empört euch! Vom Scheitern der Kritik.

Die Studenten diskutieren schon wieder. Es wird, vielleicht ganz im Sinne Nietzsches, der "Wert der Bildung" hinterfragt. Die jungen Leute sitzen auf schäbigen roten Sofas im sogenannten Philo-Kammerl, in das ich mich nur wage, weil montags dort Gratiskaffee mit Gratissemmeln ausgeteilt wird, und diskutieren, inwiefern Bildung einen Wert an sich darstelle. Sonderlich spannend sind die Positionen, die ich nicht ganz unvoyeuristisch herauslausche, nicht. Eine Linksfraktion, entweder auf kommunistisch-alternativ, oder aber auf existenziell-humanistisch, beklagt die Unmündigkeit der Gesellschaft, die aus der "Bildungsproduktion" und der "Ware Wissen" resultiere. Der Anführer der Linksfraktion - seine grüne Cordhose, der schwarze Rollkragenpulli und die runde Hornbrille erinnern an Sartre - erklärt, dass auf diese Weise die Universität keinen Freiraum und damit keine gedankliche Innovation mehr erlaube, sondern im Gegenteil den Menschen in bestimmte Denkmuster und -richtungen dränge.
Ein anderer Student erklärt, dass dies zwar stimme, dass aber, ohne damit die Kritik seines Vorredners unterminieren zu wollen, noch viel schlimmer sei, dass das Niveau selbst, die Qualität der Bildung also, für den Hund sei. Das Philosophiestudium sei nicht viel mehr als ein oberflächliches Mittel, um die Neugierde junger Menschen zu befriedigen, allerdings schon lange nicht mehr geeignet, wirkliche Erkenntnis zu fördern. Pathetisch und vermutlich auch unbewusst blickt der nicht mehr ganz junge Student dabei zur Decke. Bald bemerkt er die Lächerlichkeit seiner Pose und blickt daraufhin, etwas beschämt, auf den Boden.
Auch weitere Freidenker fühlen sich zur Kommentierung berufen. Sie erkennen die Korrumpierung des Aufklärungsideals, die machtideologische Aushöhlung des Bildungswesens und vieles mehr. Gemeinsam ist ihnen eines: die Empörung. Ein Haufen junger Menschen, scheinbar in den besten Jahren, sitzt auf billigen, staubigen Sofas, schlürfen billigen Kaffee und empören sich. Ihre Empörung schaukelt sich dabei in ungeahnte Höhen, so empört sind die Leute, dass ihnen die Wörter aus dem Mund herausplatzen. Ob sich dabei noch zugehört wird, weiß ich nicht, vielleicht, so denke ist, handelt es sich um eine Selbsthilfegruppe: Therapeutisches Sprechen für manisch Gehörlose - nicht solche, die nichts hören, sondern solche, die kein Gehör finden. Therapeutisches Sprechen für solche, die viel auf der Leber haben aber keine Ventile, für Leute, die der Welt etwas sagen möchten, wofür die Welt noch nicht bereit ist. Jedenfalls scheint niemand in der Gruppe dem Zuhören zugeneigt zu sein - jedenfalls wird hier dem Empören ein Primat gegenüber dem Empören-Hören eingeräumt, vermutlich, weil jeder glaubt, sich noch viel besser aufregen zu können, wie der andere, weil jeder glaubt, den ultimativen Empörungsgrund gefunden zu haben, und - soviel ist klar - wer einmal den absoluten Empörungsgrund gefunden hat, muss diesen auch mitteilen. Möglichst abgeklärt muss er die Welt aufklären.
Mir jedenfalls wird diese Szene langweilig und unangenehm. Mit so viel Empörung bereits am Morgen konfrontiert zu werden, denke ich, schadet meinem ohnehin empfindlichen Magen, mehr noch als der ranzige Kaffee. Ich wechsle deshalb das Institut und wandere aufs Juridicum. Auch dort,sagt man, gibt es etwas gratis: eine schlechte Ausbildung.
Bereits vor dem Glaskasten höre ich einen Raucher die mangelnde Qualität dieses Studiums verfluchen. Er habe bei seinem Prkatikum im Sommer nicht einmal den Schriftverkehr ohne Hilfe der Sekretärin - diese habe nicht einmal Matura gemacht - abwickeln können. Dass er womöglich einfach zu blöd dafür war, kommt ihm nicht in den Sinn. Schließlich studiert er Jus im 3. Semester und ist damit unfassbar intelligent. Sein Gegenüber bringt ihn auch nicht auf die Idee der Eigenverantwortlichkeit: das Juridicum sei heutzutage wirklich nicht mehr imstande, international angemessenes Know-How zu vermitteln. Die Ausbildung zum Juristen in Wien sei überhaupt nichts mehr wert!
Während sich die einen den Kopf über den Wert der Bildung an sich zerbrechen, stellen die anderen fest, dass die angebotene Ausbildung nichts mehr wert sei. Alle aber teilen sich ihre Empörung. Tatsächlich scheint die Universität Wien der schlimmste denkbare Ort, die schlechteste aller möglichen Welten, zu sein. Etwas Tragischeres, als seine Studientage in Wien fristen zu müssen, ist offenbar gar nicht denkbar. Dabei bemerke ich, während ich weitergehe, dass offensichtliche auch die Studentenschaft sich immer nur zum Schlechteren weiter - oder besser vielleicht: zurück - entwickelt: ein Professor, ein mir nicht unbekannter Rechtsphilosoph obendrein, erklärt seinem Assistenten, dass die Unwissenheit und Unbildung der von der Schule kommenden Studenten ein bisher unbekanntes Ausmaß angenommen habe. Er sei von Bildungspolitik ebenso maßlos enttäuscht wie von unengagierten Eltern, am meisten aber doch von ignoranten und desinteressierten Studenten selbst: jegliche Eigeninitiative fehle diesen, es sei - raten sie mal - empörend!
Es ergibt sich also, dass der schlechtesten aller Welten noch schlechtere Zeiten bevorstehen, dass der Gang der Gechichte letztlich doch ein Untergang ist, das also es endlich einmal an der Zeit ist, sich ordentlich zu empören.
Dieses oder ähnliches muss sich auch ein gewisser Franzose gedacht haben, der uns auffordert, uns gefälligst einmal ordentlich zu empören. Wien jedenfalls hätte er damit verschonen können. Die allgemeine Empörung hat ein nahezu unerträgliches Maß angenommen und bringt darüber hinaus in ein philosophisches Dilemma: wie begegnet man solcher Empörungswut außer eben, sie ahnen es, mit seinerseitigem Empören über jene, die sich nur empören. Ein Projekt, das somit von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, geht auf beschämend vergebliche Weise zu Ende.
Vielleicht hätte besagter Franzose besser ein Buch namens "Schämt euch!" oder "Beschämt euch!" geschrieben. Tatsache ist nämlich, dass die Empörung immer voraussetzt, dass einem die Uni, die Mitmenschen oder die Welt überhaupt dazu bringt, berechtigterweise wütend zu sein. Die Scham hingegen setzt ein Mindestmaß an Eigenverantwortung voraus. Deshalb ist die Empörung, strenggenommen, ein angenehmes Gefühl, sofern man sich Luft machen kann, nicht aber die Scham. Präzise betrachtet ist der Empörte in einer Opferrolle - er ist das Opfer seiner Umwelt -, wohingegen der Sich-schämende in eine Täterrolle gegen sich selbst schlüpft, sich selbst sabotiert und sich dafür schämt. Vielleicht sollte ich mich gerade deshalb schämen, anstatt mich hier weiter zu empören...

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