Morbides zur Weihnachtszeit
Dass die Weihnacht heutzutage zum Großereignis avanciert ist, muss nicht mehr argumentiert werden. Dass die Weihnacht nämlich längst nichts Besinnliches, wohl aber viel Bessinungsloses dazu gewonnen, ebenso vieles aber an Sinnlichem und tradierterweise Wertvollem verloren hat, ist ebenso offenkundig, wie es zu allgemeiner Kritik an Konsumwahnsinn und Einkaufsduselei angeregt hat. Dass all dieser Wahnsinn vielleicht auch seine positiven Seiten hat, dass damit vielleicht Abschied von all zu christlichen Wertvorstellungen prolongiert wird, ist freilich nicht im Sinne des Kritisierenden und damit nicht der Rede wert, denn – soviel muss dem Geschichtsbewusstsein in letzter Instanz doch abgerungen werden – eine gute Rede war immerschon die Anklage- und die Gedenkrede, nicht aber der Lobgesang.
Wie dem auch sei ist aber in den vergangenen Jahren die Mär vom Mehr, der Glaube an Kapitalismus und Fortschritt unter die eigenen Räder gekommen: seit der Kommunismus gefallen ist hat sich der Westen zunehmend selbst überholt und sich mit Schampus begossen, bis ihm die randvollen Blasen geplatzt sind. Der Ausfluss dieser offenen Blasen rinnt seither durch die Zeitungs- und Fernsehberichte – Pissoirs der Zeitgeschichte -, sodass schließlich auch den stumpfesten Kreaturen die Fäulnis in der Nase brennt. Zu rumoren beginnt es jetzt auch in den leersten Köpfen, selbst den gröbsten Zinken stinkt es mittlerweile.
Dennoch, so scheint es, glaubt der Mensch an nichts lieber, als an die Unbegrenztheit seiner Möglichkeiten. Während in Amerika „Christmas-Credits“ von Discountern vergeben werden, um die nunmehr verarmte Mittelschicht nach wie vor mit Geschenken zu überhäufen, fahren hierzulande halbverrückte Holländer mit völlig verrückten Russen Schi an Schi im Schneepflug die zerregnete „Trass“ hinunter, teilen sich die Jagatee-Fahne und den Grimm der Einheimischen, auch wenn sie sich sonst nicht viel zu sagen haben.
Und neben all dieser absurd-ironischen Konstellation von High-Life-Realität und apokalyptischer Zukunftsangst drängt sich doch gerade zur Weihnachtszeit und zum Neujahrestag nichts weniger auf als das existenzielle Bilanzieren, das Fragen nach Kosten und Nutzen des Lebens – es stellt sich die Frage nach Warum und Wozu des Strebens, der Zwang der persönlichen Abrechnung meldet sich im Hinterkopf. Da wird das Glückskonto nach grünen und roten Zahlen durchforstet und sich überlegt, was im nächsten Jahr besser werden muss, was nicht schlechter werden darf und vor allem, was in der Zukunft aus einem werden soll. Eines ist klar: nur selten sind solche Bilanzen klar in den grünen Zahlen und ebenso wie in der Wirtschaft gilt auch hier, dass ein Rückschritt, ein Minus, verboten ist. Weil sich aber die Leute doch immer wieder ein solches Minus eingestehen müssen – gerade zur finstersten und dunkelsten aller Jahreszeiten wird dann gerne der Stift weiter unten angesetzt, als eigentlich nötig – vermischt sich letzten Endes der Einheimischen-Grimm mit persönlichem Frust, wie sich der Neuschnee mit dem Kunstschnee und dem Regen zu einer Masse verbindet, die in ein paar Monaten die Urlauber wieder hinausgeschwemmt haben wird, wo sie einmal hereingekommen sind. Und gerade weil eben Weihnachts- und Winterdepression die Bilanzen zusätzlich belasten, schwemmen die Einheimischen letzten Endes doch mit den Urlaubern in jenes existenzielle Loch hinein, das sie selber sind, und füllen ihre innere Leere mit Stelzen, Schweinderln, Würsten und Vodka. Und dann scheint ihnen, vollgestopft mit kapitalistischen Leckereien, trotz negativer Bilanz jener Umkehrschwung möglich zu sein, der der Wirtschaft nicht mehr zugetraut wird – ja, selbst wenn alles den Schmittenbach hinunter geht, heißt das noch lange nicht, dass man diese Welle selber reiten muss: sollen doch die Anderen strampeln! Wie dem Raucher so hängt auch dem Weihnachtsmorbiden das ominöse „Mich wird’s schon nicht erwischen“ im vom Alkohol aufgeweichten Kopf.
Aber nicht jeder beherrscht die Kunst der Verdrängung so gut wie der Bergmensch oder der Raucher. Selbst wenn der Spagat zwischen Weltuntergangsdenken und Bauchübergangsleben vielen gelingt, so fordert doch die Weihnachtszeit alljährlich ihre Opfer und zeigt, dass dem Menschen psychologisch vieles, aber doch nicht alles zugemutet werden kann, und dass uns Menschen in realiter doch nicht alles möglich ist, kurz: dass die Möglichkeiten groß, aber nicht unbegrenzt sind. Niemandem dürfte dies klarer sein, als dem großen Kopf, in dem der Totengräber longiert, der auch heuer – wie jedes Jahr – bei der Weihnachtsmesse am Eingang des Bergfriedhofs mit kritischem Blick sein Werk begutachtet hat. Niemand wird genauer wissen, dass auch zur Weihnacht gestorben, dass gerade zur Weihnacht mit Vorliebe zum Freitod gegriffen wird und dass es kaum traurigere Ereignisse als eine Neujahrs-Beerdigung gibt.
Es klingt freilich zynisch, einem Totengräber Bodenständigkeit zu attestieren, die These aufzustellen, dieser sei, in landläufiger Sprache, „geerdet“. Und dennoch scheint mir kaum ein Bergmensch – auch wenn er gebürtiger Steirer ist – freier von negativen Gedanken zu sein, wie dieser Totengräber, der mir im Anschluss an die Weihnachtsmesse nicht weniger, aber auch nicht weniger, als ein gesundes neues Jahr zu wünschen wusste. Es mag ja auch einen Anflug von Lächerlichkeit besitzen, an gerade jene Besinnlichkeit zu erinnern, die uns im vom Tourismus durchtränkten Bergdorf zur Weihnacht gar nicht mehr möglich erscheint. Aber dass man jene Besinnlichkeit in der Person eines Totengräbers verkörpert findet, muss dem philosophischen Kopf doch als eine ironisches Stück Wahrheit gelten. Während nämlich andere verzweifelt versuchen, ihre eigenen existenziellen Löcher zu stopfen, verschaufelt der Totengräber ganz andere, weit tiefere Löcher und wirkt dabei auf erschreckende Weise erfüllt. Es mag freilich aber auch sein, dass dies an seiner steirischen, weniger dunklen Herkunft liegt. In jedem Fall aber ist klar, dass vielen Leuten gerade zur Weihnachtszeit ihre Existenzrechnung ganz und gar nicht aufgeht, auch wenn sich nur die Wenigsten in ihre persönlichen Glücksbilanzen schauen lassen. Nur zu gut, dass auch die Weihnachtszeit, wie alles andere, vorüber geht. An diese Vergänglichkeit muss man einen Totengräber freilich nicht erinnern. Da aber nicht jeder ein Totengräber sein kann, auch wenn er von jedem einmal gebraucht werden wird, muss gelegentlich, und ganz besonders zum Neujahr, auch einmal der Allgemeinheit ein memento mori verfasst werden.
Wie dem auch sei ist aber in den vergangenen Jahren die Mär vom Mehr, der Glaube an Kapitalismus und Fortschritt unter die eigenen Räder gekommen: seit der Kommunismus gefallen ist hat sich der Westen zunehmend selbst überholt und sich mit Schampus begossen, bis ihm die randvollen Blasen geplatzt sind. Der Ausfluss dieser offenen Blasen rinnt seither durch die Zeitungs- und Fernsehberichte – Pissoirs der Zeitgeschichte -, sodass schließlich auch den stumpfesten Kreaturen die Fäulnis in der Nase brennt. Zu rumoren beginnt es jetzt auch in den leersten Köpfen, selbst den gröbsten Zinken stinkt es mittlerweile.
Dennoch, so scheint es, glaubt der Mensch an nichts lieber, als an die Unbegrenztheit seiner Möglichkeiten. Während in Amerika „Christmas-Credits“ von Discountern vergeben werden, um die nunmehr verarmte Mittelschicht nach wie vor mit Geschenken zu überhäufen, fahren hierzulande halbverrückte Holländer mit völlig verrückten Russen Schi an Schi im Schneepflug die zerregnete „Trass“ hinunter, teilen sich die Jagatee-Fahne und den Grimm der Einheimischen, auch wenn sie sich sonst nicht viel zu sagen haben.
Und neben all dieser absurd-ironischen Konstellation von High-Life-Realität und apokalyptischer Zukunftsangst drängt sich doch gerade zur Weihnachtszeit und zum Neujahrestag nichts weniger auf als das existenzielle Bilanzieren, das Fragen nach Kosten und Nutzen des Lebens – es stellt sich die Frage nach Warum und Wozu des Strebens, der Zwang der persönlichen Abrechnung meldet sich im Hinterkopf. Da wird das Glückskonto nach grünen und roten Zahlen durchforstet und sich überlegt, was im nächsten Jahr besser werden muss, was nicht schlechter werden darf und vor allem, was in der Zukunft aus einem werden soll. Eines ist klar: nur selten sind solche Bilanzen klar in den grünen Zahlen und ebenso wie in der Wirtschaft gilt auch hier, dass ein Rückschritt, ein Minus, verboten ist. Weil sich aber die Leute doch immer wieder ein solches Minus eingestehen müssen – gerade zur finstersten und dunkelsten aller Jahreszeiten wird dann gerne der Stift weiter unten angesetzt, als eigentlich nötig – vermischt sich letzten Endes der Einheimischen-Grimm mit persönlichem Frust, wie sich der Neuschnee mit dem Kunstschnee und dem Regen zu einer Masse verbindet, die in ein paar Monaten die Urlauber wieder hinausgeschwemmt haben wird, wo sie einmal hereingekommen sind. Und gerade weil eben Weihnachts- und Winterdepression die Bilanzen zusätzlich belasten, schwemmen die Einheimischen letzten Endes doch mit den Urlaubern in jenes existenzielle Loch hinein, das sie selber sind, und füllen ihre innere Leere mit Stelzen, Schweinderln, Würsten und Vodka. Und dann scheint ihnen, vollgestopft mit kapitalistischen Leckereien, trotz negativer Bilanz jener Umkehrschwung möglich zu sein, der der Wirtschaft nicht mehr zugetraut wird – ja, selbst wenn alles den Schmittenbach hinunter geht, heißt das noch lange nicht, dass man diese Welle selber reiten muss: sollen doch die Anderen strampeln! Wie dem Raucher so hängt auch dem Weihnachtsmorbiden das ominöse „Mich wird’s schon nicht erwischen“ im vom Alkohol aufgeweichten Kopf.
Aber nicht jeder beherrscht die Kunst der Verdrängung so gut wie der Bergmensch oder der Raucher. Selbst wenn der Spagat zwischen Weltuntergangsdenken und Bauchübergangsleben vielen gelingt, so fordert doch die Weihnachtszeit alljährlich ihre Opfer und zeigt, dass dem Menschen psychologisch vieles, aber doch nicht alles zugemutet werden kann, und dass uns Menschen in realiter doch nicht alles möglich ist, kurz: dass die Möglichkeiten groß, aber nicht unbegrenzt sind. Niemandem dürfte dies klarer sein, als dem großen Kopf, in dem der Totengräber longiert, der auch heuer – wie jedes Jahr – bei der Weihnachtsmesse am Eingang des Bergfriedhofs mit kritischem Blick sein Werk begutachtet hat. Niemand wird genauer wissen, dass auch zur Weihnacht gestorben, dass gerade zur Weihnacht mit Vorliebe zum Freitod gegriffen wird und dass es kaum traurigere Ereignisse als eine Neujahrs-Beerdigung gibt.
Es klingt freilich zynisch, einem Totengräber Bodenständigkeit zu attestieren, die These aufzustellen, dieser sei, in landläufiger Sprache, „geerdet“. Und dennoch scheint mir kaum ein Bergmensch – auch wenn er gebürtiger Steirer ist – freier von negativen Gedanken zu sein, wie dieser Totengräber, der mir im Anschluss an die Weihnachtsmesse nicht weniger, aber auch nicht weniger, als ein gesundes neues Jahr zu wünschen wusste. Es mag ja auch einen Anflug von Lächerlichkeit besitzen, an gerade jene Besinnlichkeit zu erinnern, die uns im vom Tourismus durchtränkten Bergdorf zur Weihnacht gar nicht mehr möglich erscheint. Aber dass man jene Besinnlichkeit in der Person eines Totengräbers verkörpert findet, muss dem philosophischen Kopf doch als eine ironisches Stück Wahrheit gelten. Während nämlich andere verzweifelt versuchen, ihre eigenen existenziellen Löcher zu stopfen, verschaufelt der Totengräber ganz andere, weit tiefere Löcher und wirkt dabei auf erschreckende Weise erfüllt. Es mag freilich aber auch sein, dass dies an seiner steirischen, weniger dunklen Herkunft liegt. In jedem Fall aber ist klar, dass vielen Leuten gerade zur Weihnachtszeit ihre Existenzrechnung ganz und gar nicht aufgeht, auch wenn sich nur die Wenigsten in ihre persönlichen Glücksbilanzen schauen lassen. Nur zu gut, dass auch die Weihnachtszeit, wie alles andere, vorüber geht. An diese Vergänglichkeit muss man einen Totengräber freilich nicht erinnern. Da aber nicht jeder ein Totengräber sein kann, auch wenn er von jedem einmal gebraucht werden wird, muss gelegentlich, und ganz besonders zum Neujahr, auch einmal der Allgemeinheit ein memento mori verfasst werden.
ledsgo - 3. Jan, 00:19