Die Bildungsfernen
Stellen Sie sich einmal vor, Sie gehörten zu der so genannten bildungsfernen Schicht. Eine ungeheure Vorstellung, freilich, aber immerhin eine Denkmöglichkeit. Stellen Sie sich vor, wie weit in der Ferne ein Berg sich auftürmt; er wirkt sogar ganz klein in der Ferne, aber sie wissen doch - nicht aufgrund ihrer Bildung, sondern aufgrund einer angeborenen Fähigkeit, Abstände einzuschätzen - , dass dieser Berg eine enorme Höhe aufweist. Es ist, wie Sie vermuten müssen, der höchste aller Berge, ein unbesteigbares Gebirge, das eine geradezu niederschmetternde Ehrfurcht in Ihnen auslöst. Auf diesem Berg sitzen verstreut die, die der Bildung näher sind als Sie. Die, die auf diesem Berg sitzen, halten sich gerne für eine Gemeinschaft. Deshalb sprechen sie gerne in Kollektivismen oder in Form eines falsch verstandenen Pluralis Majestatis. "Die Intellektuellen", sagen sie, "seien dieser und jener Meinung", oder eben "Wir sind der Ansicht,...", und meinen dabei doch niemanden als sich selbst, attestieren ihrer eigenen unsinnigen Aussage eine Common-Sense Autorität, die dem Plural notwendigerweise anhaftet. Der Charakter einer persönlichen Meinung wird konterkariert durch den Anschein eines gemeinschaftlichen Wissens: so wird doxa zur episteme, wie die Griechen sagen würden.
Mit diesen Waffen - dem Berg der Bildungsnähe, der dem Bildungsfernen notwendigerweise unerklimmbar ist und der Autorität des Kollektivs - gehen sie dann auf andere Menschen los. Sie sind deshalb nicht besser als die Bildungsfernen, denn nichts ist bildungsferner als die Meinung, dass nicht jeder Mensch denselben Wert habe. Nein, besser sind sich nicht, die Bildungsnahen: sie wissen halt mehr! Und weil die Bildung als solche schon eine biegsame Sache ist, sind die Gebildeten zumeist noch viel biegsamer und deshalb biegen sich die Bildungsnahen ihre Welt und ihre Bildung auch gerne in einer Art und Weise zurecht, wie es ihnen passt. Der gute alte Kant hat nicht nur festgestellt, dass der Mensch aus krummem Holz geschnitzt sei, das sich nicht gerade biegen lässt (und wenn sich das Holz nicht gerade biegen lässt, muss man freilich die Umwelt rundherum biegen, bis sie auf das Hölzlein passt). Er hat auch gesagt, dass zwar jeder Mensch denselben Wert habe - darin sei die Würde des Menschen begründet, die ihm niemand nehmen könne. Nichtsdestoweniger aber habe nicht jeder Mensch denselben Preis.
Das wiederum gefällt den Bildungsnahen - so können sie sich nämlich die beste aller Welten zusammenschustern: sie können Gutmensch bleiben und jedem Menschen, sei er noch so bildungsfern, seine Würde lassen. Wer sonst schon nix hat, werden sie sich denken, der soll wenigstens eine Würde haben. Am Ende des Tages kann der Bidlungsferne nachhause spazieren, und sich zumindest an seiner Würde erfreuen. Zugleich aber können sie ohne schlechtes Gewissen ihren Preis verlangen, einen Preis, den der Bildungsferne professionsgemäß nicht verlangen kann, weil nur die Würde die allen Menschen gleiche sein muss, nicht aber der Preis.
Und um diese Würde nicht zu verletzen, haben sich die Bildungsnahen in ihrem unerschütterlichen Einsatz für die Bildungsfernen auch einiges einfallen lassen. Während man nämlich früher die Bildungsfernen schlicht und ergreifend als Proletarier, Hackler oder Unterschichtler bezeichnete, ist man sich heute - der Nähe zur Bildung sei Dank - einig, dass eine solche Bezeichnung die Würde des individuums verletze und also diskriminierend sei. Bildungsfern zu sein allerdings, das ist kein Problem. Es macht schließlich nur deutlich, dass die Leute ein bisserl blöder sind als andere, sie wissen halt nichts oder nur wenig. Deshalb sind die Bildungsfernen auch den Tieren ähnlich - man könnte sagen, sie haben etwas hündisches. Sie sind treu und machen das, was ihnen ihre Herren - die Bildungsnäheren - auftragen, manchmal hat ihre Dummheit auch etwas liebes: "ein so ein lieber Depp", denkt sich der Bildungsnahe, "ein Doggerl halt, aber sonst ist er ein netter". So reden sie über die Bildungsfernen, wenn sie unter sich sind. Aber diese Überheblichkeit ist ihnen nicht übel zu nehmen: die Helle der Bildung blendet nicht selten, wenn man ihr zu nahe kommt.
Bleiben wir noch einen Augenblick bei unserem Gedankenexperiment. Denken Sie noch ein bisschen länger, sie wären in der unmöglichen Situation der Bildungsferne - ich weiß, Sie studieren, Sie sind ein denkender Mensch, ein homo rationalis, Sie kennen die Grundzüge der Volkswirtschaft ebenso wie Kelsens "Reine Rechtslehre", interessieren sich nebenbei für Nietzsche und Castor und bleiben dabei den humanistischen Idealen eines Humboldts ebenso verhaftet wie Sie überzeugter Menschenrechtsaktivist für Afrika sind - aber überlegen Sie noch einen Moment mit mir. Stellen Sie sich vor, wie trotz ihrer Bildungsnähe der Preis nicht mehr stimmt, stellen Sie sich vor wie es wäre, wenn auch Ihnen am Ende des Tages nur noch die Würde übrig bliebe - und meinetwegen ihre nun wertlose Bildung, ja stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn die Bildung nicht wie man Ihnen versichert hat einen Wert an sich darstellen würde (also nicht unabhängig von ihrer Ver-wertbarkeit schon an sich wertvoll wäre). Diese Vorstellung ist für einen Akademiker, der um 1 100,-- Netto 40h+ arbeitet, nicht viel ferner wie für den Bildungsfernen die Bildung selbst. Ist diese Vorstellung nicht, wie der Amerikaner sagen würde, priceless?
Sie können sich nun entscheiden: vor welchem Berg stehen Sie? Sind sie bildungs- oder einkommensfern (übrigens ein Wort, das Bildungs- und Einkommensnahe aus Diskriminierungsgründen erfunden haben)? Oder gar beides?
Mit diesen Waffen - dem Berg der Bildungsnähe, der dem Bildungsfernen notwendigerweise unerklimmbar ist und der Autorität des Kollektivs - gehen sie dann auf andere Menschen los. Sie sind deshalb nicht besser als die Bildungsfernen, denn nichts ist bildungsferner als die Meinung, dass nicht jeder Mensch denselben Wert habe. Nein, besser sind sich nicht, die Bildungsnahen: sie wissen halt mehr! Und weil die Bildung als solche schon eine biegsame Sache ist, sind die Gebildeten zumeist noch viel biegsamer und deshalb biegen sich die Bildungsnahen ihre Welt und ihre Bildung auch gerne in einer Art und Weise zurecht, wie es ihnen passt. Der gute alte Kant hat nicht nur festgestellt, dass der Mensch aus krummem Holz geschnitzt sei, das sich nicht gerade biegen lässt (und wenn sich das Holz nicht gerade biegen lässt, muss man freilich die Umwelt rundherum biegen, bis sie auf das Hölzlein passt). Er hat auch gesagt, dass zwar jeder Mensch denselben Wert habe - darin sei die Würde des Menschen begründet, die ihm niemand nehmen könne. Nichtsdestoweniger aber habe nicht jeder Mensch denselben Preis.
Das wiederum gefällt den Bildungsnahen - so können sie sich nämlich die beste aller Welten zusammenschustern: sie können Gutmensch bleiben und jedem Menschen, sei er noch so bildungsfern, seine Würde lassen. Wer sonst schon nix hat, werden sie sich denken, der soll wenigstens eine Würde haben. Am Ende des Tages kann der Bidlungsferne nachhause spazieren, und sich zumindest an seiner Würde erfreuen. Zugleich aber können sie ohne schlechtes Gewissen ihren Preis verlangen, einen Preis, den der Bildungsferne professionsgemäß nicht verlangen kann, weil nur die Würde die allen Menschen gleiche sein muss, nicht aber der Preis.
Und um diese Würde nicht zu verletzen, haben sich die Bildungsnahen in ihrem unerschütterlichen Einsatz für die Bildungsfernen auch einiges einfallen lassen. Während man nämlich früher die Bildungsfernen schlicht und ergreifend als Proletarier, Hackler oder Unterschichtler bezeichnete, ist man sich heute - der Nähe zur Bildung sei Dank - einig, dass eine solche Bezeichnung die Würde des individuums verletze und also diskriminierend sei. Bildungsfern zu sein allerdings, das ist kein Problem. Es macht schließlich nur deutlich, dass die Leute ein bisserl blöder sind als andere, sie wissen halt nichts oder nur wenig. Deshalb sind die Bildungsfernen auch den Tieren ähnlich - man könnte sagen, sie haben etwas hündisches. Sie sind treu und machen das, was ihnen ihre Herren - die Bildungsnäheren - auftragen, manchmal hat ihre Dummheit auch etwas liebes: "ein so ein lieber Depp", denkt sich der Bildungsnahe, "ein Doggerl halt, aber sonst ist er ein netter". So reden sie über die Bildungsfernen, wenn sie unter sich sind. Aber diese Überheblichkeit ist ihnen nicht übel zu nehmen: die Helle der Bildung blendet nicht selten, wenn man ihr zu nahe kommt.
Bleiben wir noch einen Augenblick bei unserem Gedankenexperiment. Denken Sie noch ein bisschen länger, sie wären in der unmöglichen Situation der Bildungsferne - ich weiß, Sie studieren, Sie sind ein denkender Mensch, ein homo rationalis, Sie kennen die Grundzüge der Volkswirtschaft ebenso wie Kelsens "Reine Rechtslehre", interessieren sich nebenbei für Nietzsche und Castor und bleiben dabei den humanistischen Idealen eines Humboldts ebenso verhaftet wie Sie überzeugter Menschenrechtsaktivist für Afrika sind - aber überlegen Sie noch einen Moment mit mir. Stellen Sie sich vor, wie trotz ihrer Bildungsnähe der Preis nicht mehr stimmt, stellen Sie sich vor wie es wäre, wenn auch Ihnen am Ende des Tages nur noch die Würde übrig bliebe - und meinetwegen ihre nun wertlose Bildung, ja stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn die Bildung nicht wie man Ihnen versichert hat einen Wert an sich darstellen würde (also nicht unabhängig von ihrer Ver-wertbarkeit schon an sich wertvoll wäre). Diese Vorstellung ist für einen Akademiker, der um 1 100,-- Netto 40h+ arbeitet, nicht viel ferner wie für den Bildungsfernen die Bildung selbst. Ist diese Vorstellung nicht, wie der Amerikaner sagen würde, priceless?
Sie können sich nun entscheiden: vor welchem Berg stehen Sie? Sind sie bildungs- oder einkommensfern (übrigens ein Wort, das Bildungs- und Einkommensnahe aus Diskriminierungsgründen erfunden haben)? Oder gar beides?
ledsgo - 24. Aug, 11:53