Betrachtung einer studentischen Gesellschaft für den unwissenden Leser

Es mag für den unwissenden Leser, für den, der mit unserer Thematik noch nicht oder nur all zu selten in Berührung kam, abstrus klingen, dass es Studenten gibt, die sich stupid studiert haben. Vor allem für die Angehörigen der sogenannten Steuerzahlerkaste, den wahren Stützen der Gesellschaft, der arbeitenden Mittelschicht – und zwar vor allem jener arbeitenden Mittelschicht, die sich nicht zu Schade ist, Stolz auf ihr das Gemeinwohl erhaltende Steuerzahlen zu sein – muss es sich wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen, wenn ihnen dämmert, dass sich so mancher auf Kosten ihrer hart erarbeiteten Steuern stupid studiert.
Freilich, es gibt auch Studenten, die schon vorher stupid waren. Man könnte natürlich argumentieren, dass der Studentenstand eben auch ein Querschnitt der Gesellschaft sei, und das dort wie im normalen Leben manche mehr, manche weniger am Kasten hätten. Solche Argumente bringen zumeist bildungspessimistische Zeitgenossen vor, die der Meinung sind, dass die Matura längst nicht mehr das sei, was sie einmal war, und das heute ein jeder – sei er noch so blöd – besagte Matura bestehen könne, wenn er nur genug wolle.
Nun, man muss dieser Sicht der Dinge ihr Recht zugestehen: es ist heute – und vielleicht durchaus mehr, als früher, wer bin ich schon, dies abzuschätzen – wirklich nichts elitäres mehr daran, maturiert zu haben. Es stellt, so die Bildungspessimisten, durchaus nur noch einen Akt des Erwachsenwerdens jeder nicht völlig verhauten Kindsnatur, dar. Insofern also sei es nur logisch, dass sich auch auf den Universitäten mehr und mehr der Durchschnitt – und davon noch der untere, weil der obere sich eine private Bildung leiste – wiederfinde, und dass, eo ipso, die Universität selber langsam verdumme.
Der Bildungspessimist ist jedenfalls ein elitärer Denker, der meint, die Dummheit oder Schlauheit eines Menschen sei ihm angeboren und nur der von vornherein schlau geborene habe ein Anrecht auf elitäre Bildung, damit diese auch tatsächlich elitär bleibe und nicht zu einem Durchschnittsgewächs verfalle, das von Parasiten befallen und von Umkraut umzingelt langsam aber sicher auf seine völlig Auslöschung zuvegetiert.
Einen solchen Geistesnaturalismus denkt der Bildungspessimist sich also aus, damit die Guten oben und die Obigen gut bleiben. Vielleicht hat der Bildungspessimist auch recht in dem, was er denkt. Ich aber meine doch Fälle beobachtet zu haben, in denen der Stupidisierungsgrad der Studiendauer korrespondiert. Solche Fälle würden einem anderen, in erster Linie pädagogisch- optimistischen Menschenbild entsprechen, wie man es noch in den Sechzigerjahren gerne zeichnete und wie es sich heute überall breitgemacht hat, weil man es damals eben wirklich glaubte. Dieses pädagogisch- optimistische Menschenbild geht davon aus, dass der Mensch nicht dumm ist, sondern dumm gemacht wird. Dies übernimmt wahlweise die Elternschaft, die Gesellschaft oder, meinetwegen, auch das Fernsehen, jedenfalls ist in einer solchen Einschätzung der Lage der Student nicht immer schon stupid, sondern er ist ein Produkt verschiedenster Stupidisierungsprozesse.
Wenn wir uns nun Fällen zuwenden, in denen die Stupidisierung erst mit dem Studium einsetzt, darf davon ausgegangen werden, dass nicht die Eltern oder das Fernsehen, sondern tatsächlich der Prozess des Studiums selbst den Studenten stupid macht. Einem solchen Prozess unterliegen meinen Nachforschungen zufolge zumindest drei klar unterscheidbare Typen.
Der erste dieser Typen ist der so genannte Bummelstudent. Ihm steht die Stupidität freilich ins Gesicht geschrieben, bzw. hat er sich seine eigene Blödheit – um einen Nietzscheanischen Terminus zu verwenden – einverleibt. Er hat sich eine zunächst äußerliche Dummheit, die als Weisheit getarnt war, verinnerlicht und dann wieder nach außen gekehrt. Diese sehr technische Formulierung mag mit einem Beispiel aufgehellt werden:
Zu Beginn seines Studiums ist der Bummelstudent einer unter vielen und hebt sich optisch nicht groß von seinen Komilitonen ab. Zu Beginn des zweiten Semester bemerkt man einen zunehmenden äußeren Verfall, der sich in mangelnder Hygiene, kaputten und schmutzigen Klamotten, fettigen ungewaschenen Haaren und körperlichen Ausdunstungen aller Art bemerkbar macht. Diese Veräußerlichung korrespondiert der verinnerlichten Dummheit, dass es nicht auf Äußerlichkeiten ankäme, was natürlich ein offensichtlicher Widerspruch ist. Da aber dem Bummelstudenten diese verinnerlichte Dummheit beim ersten Kontakt als Weisheit erschien, übernahm er sie und trägt nun den verinnerlichten Grundsatz, dass es nicht auf Äußerlichkeiten ankäme, in die Welt hinaus. Er hat diese Weisheit vermutlich bei einer so genannten subversiven Diskussion oder einem subversiven Professor aufgeschnappt und sie mittlerweile zur Überzeugung, dass die Gesellschaft als solche verachtenswert und somit zu unterlaufen wäre, ausgebaut, weshalb sich auch sein Studium in unerwartete Längen zieht, weil schnell studieren ein Beugen vor dem Leistungsdenken der Gesellschaft wäre und also nicht in Frage kommt. Nicht nur seinen Eltern steigt bei den seltenen Besuchen des von ihnen gesponserten „Studierten“ der Wutschweiß in den Kopf, wenn er ihnen seine Weltsicht offenlegt, die er freilich mit Anlehnung an die allergrößten Denker von Diogenes in der Tonne bis zu Karl Marx ausschmückt. Nicht nur seine vom Wutschweiß durchtränkten Eltern beschleicht also der Verdacht, der hier als bestätigt gelten darf, nämlich dass ihr Sohn sich stupid studiert hat.
Die zweite Form des Stupidstudierens ist weniger offenkundig als die erste. Es handelt sich hierbei nämlich um einen Fall, der im Gegensatz zum Bummelstudenten mit einer gehörigen Portion Arroganz und Eitelkeit daherkommt. Diesen zweite Fall möchte ich „den Erfolgsmenschen“ nennen (dies vor allem deshalb, weil die Überlegung naheliegt, dass der Erfolgsmensch eine über Stände erhabene Klasse Mensch darstellt, die also in jeder Schicht anzutreffen sind, egal ob studiert oder nicht).
Auch der Erfolgsmensch hebt sich eingangs nicht sonderlich von seinen Mitstudenten ab. Aber schon nach kurzer Zeit, womöglich schneller als der Bummelstudenten, beginnt der Erfolgsmensch, sich seinem noch nicht vorhandenen aber mit Sicherheit bald einsetzenden Erfolg entsprechend zu kleiden und zu verhalten. Seine Erfolgsgeilheit ist ihm dabei ins Gesicht geschrieben und er strotzt vor Selbstvertrauen, weil man, wie er glaubt, um erfolgreich zu sein, vor Selbstvertrauen strotzen muss. Auch er verwandelt sich nämlich nicht ohne theoretische Absicherung: er verfällt dem vielleicht fatalsten aller Irrtümer: der Überzeugung, seines eigenen Glückes Schmied zu sein. Der Erfolgsmensch vermeint, der Welt durch seinen Erfolg am Besten zu dienen und er meint vor allem, dass dieser Erfolg prinzipiell jedem möglich sei und er nur besser sein müsse als alle anderen. Dies führt zu unangenehmen Nebeneffekten, derer mindestens drei zu erwähnen sind. Einmal, dass der Erfolgsmensch zu Beginn seines Studiums mittels besagter Überzeugungen auch gleichzeitig beginnt, alles und jeden auf der Welt als Konkurrenten zu betrachten.
Danach, dass der Erfolgsmensch beginnt, sich seinem einsetzenden Studienerfolg selbst zuzuschreiben und infolgedessen sein Konkurrenzdenken auf die Spitze getrieben wird, indem er nun seine Mitmenschen nur noch als potentielle, nicht mehr als eigentliche Kontrahenten betrachten muss, weil er nun glaubt, ohnehin viel besser zu sein als alle anderen. Dies macht ihn nicht nur zu einem arroganten und eitlen, sondern zu einem unsympathischen und unerträglichen Komilitonen.
Und schließlich, dass der Erfolgsmensch dann, wenn er merkt, dass sein Erfolg ausbleibt, beginnt vor sich hin zu bittern. Weil ihm diese Bitterkeit nicht schmeckt und der Erfolgsmensch immer schon dem Highlife verhaftet war, verhält er sich trotzdem, als hätte er Erfolg und Geld und spült sie so hinunter, die Bitterkeit, wenigstens für die Nacht. Das muss er auch, denn ohne Alkohol wirkt er kaum noch erfolgreich, weil ihm dann der Witz, der Esprit, der Charme und das Selbstvertrauen fehlen. Auch er ist also einer Blödheit verfallen, auch er hat sich stupid studiert.
Zu guter Letzt ist noch vom schwierigsten und schwerwiegendsten Fall des Stupidstudierens zu berichten. Ich möchte ihn den „Wissenschaftstypus“ nennen, weil er immer schon ein ungemein interessierter Mensch war, der immer schon überall alles ganz genau wissen wollte und immer schon überall viel genauer hingeschaut hat als alle anderen – zumindest erzählt das der Wissenschaftstypus, wenn rundherum andere Menschen stehen, die ihm seinen Wissenschaftspathos auch noch glauben. Freilich, er selbst glaubt sich diesen Pathos auch. Für ihn gibt es überhaupt nur ein Interesse: das Sein als solches. Diesem Interesse geht der Wissenschaftstypus auf den verschiedensten Wegen nach: der Physik, der Biologie, der Philosophie etc.
Auch er hat sich zu Beginn seines Studiums nicht viel von seinen Mitmenschen unterschieden. Aber er hat dann rasch begriffen, dass er viel fundamentaler, ja viel eigentlicher fragt als alle anderen. Deshalb kann er alles und jeden innerlich verachten, schließlich hat er, und nur er, den Wettlauf gegen die Zeit aufgenommen und sich der Wahrheit selbst gewidmet.
Der Wissenschaftstypus wird mit zunehmendem Studienverlauf immer eigenartiger, weil sich die Wahrheit ihm nicht zeigen will. Er hat nach ein paar Jahren Studium wie ein Verrückter Bücher in sich hineingestopft, Formeln auswendig gelernt oder Froschschenkel seziert, aber so richtig, dünkt ihm, ist auch er nicht schlauer geworden.
Und tatsächlich: auch er, der Wissenschaftstypus, ist nicht schlauer. Weil er aber zumindest irgendwann bemerkt, dass er nicht wirklich schlauer wird, ist auch seine Stupidität die ungefährlichste und wird, wie ich meine, durch diese späte Einsicht zumindest gemildert. Aber auch er hat sich eine ganze Zeit lang stupid studieren müssen, mit dem paradoxen und zweifelhaften Erfolg, zumindest zu bemerken, dass er immer blöder wird.

Sollten meine Nachforschungen den Tatsachen, von denen sie abgeleitet wurden, tatsächlich entsprechen, muss natürlich vieles überdacht werden. Es stellt sich dann die Frage, ob der naturalistische Bildungspessimismus durch einen pädagogischen ersetzt werden sollte, und – wenn wir wirklich gewillt sind, das zu tun – ob wir in einer solchen Situation als Gesellschaft nicht die Studenten abschaffen sollten. Dies würde nämlich nicht nur den nunmehr entsetzten Steuerzahler, sondern vor allem dem Studierenden zu Gute kommen, weil der Student in seinem lächerlichen Studententum dem Studierenden schlicht und einfach zuwider ist. Wer nämlich auf die Uni geht, um zu studieren, bemerkt rasch, wer auf die Uni geht, um Student zu sein. Und wer sich auf den Umstand Student zu sein etwas einbildet, der gehört nicht aus-, sondern rausgebildet.

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