Zell am See

Zell ist ja immer eine Eigenart. Zell ist ja immer anders als alles Andere. Zell, das ist sozusagen die falsche Antwort auf all deine Fragen. Kein Scheiß, in Zell ist alles so, wie es nicht sein sollte, und jeder weiß das. Die Sache ist nur die: keiner weiß, wie’s sein sollte.
Nun gut, Zell ist schön, keine Frage. Ich bin hier ja aufgewachsen, war auch schön, da gibt’s gar nichts. Aber Zell bleibt stehen. Zell ist immer schon Zell, und das wird’s auch bleiben.

Was ich meine? Die Leute sind weg. Wo ist das Zell, in dem man noch mit 15 Leuten im Haus Gabi war, und jeden der alleine in der Wiese lag entweder bemitleidet, oder – was wahrscheinlicher ist – ausgelacht hat. Selbstreflexion, wenn man heute selber so allein da liegt, und die arroganten Schülergruppen aus England, Frankreich und meinethalben auch aus Zell so daliegen sieht, mit ihren Best- Friend 4 – ever Utopien und dem naiven Gedanken, das alles so bliebe und alles gut werde. Aber ich, der alleine liegende Eigenbrötler, kenne das, weiß, dass sich auch ihr Weltbild auf den Kopf stellen wird, wenn sie nur älter werden.
Anfangs wundert man sich noch, aber sobald man hier ohne Unterstützung auftaucht, sich also gegen den Rat der Freunde und Studienkollegen, auf das brüchige Eis der Jugenderinnerungen begibt, wird man sehr bald einbrechen, weil das bröckelige Fundament – der alte Freundeskreis, der längst nicht mehr hierherkommt – diesen Erinnerungen letzte Festigkeit raubt. Und überall trifft man Leute, die man ein wenig kennt – in Zell ist man immer unter Beobachtung, nie anonym, aber trotzdem allein – und nicht weiß, ob man grüßen, einen Smalltalk aufbauen oder irgendwas anderes machen soll, dass Einem normalerweise auf die Eier geht, hier allerdings den Tag retten könnte. Unter Sonnengläsern sieht man Facetten, die man eventuell kennen könnte. Winkt man? Zu unsicher. Geht man hin? Zu bemüht. Lässt man sich nichts anmerken? Exakt.
Und dann ist man allein, und man bereut, überhaupt hergekommen zu sein. Es ist langweilig, was macht man? Man spaziert im Regen. Man denkt nach, über Vergangenes und Zukünftiges, aber schlau wird man aus Zell ja doch nicht. Man überlegt, ob man Leute anrufen soll, die man normal nicht anruft, und lässt es bleiben. Man fährt mit dem Auto Seerunden, bis der Benzin alle ist, und geht danach zu Fuß, weil tanken Luxus ist. Man spaziert oder fährt Rad. Man ärgert sich über geflügeltes Insektengetier. Man greift zu Büchern, findet nur unverdauliche Anti- Heimat Literatur. Man schreibt seine Gedanken nieder, ließt sie, und fühlt sich dämlich, weil sie bescheuert sind. Man fragt sich:
Ist man noch zuhause?
Längst nicht mehr.
maxrems - 24. Mai, 19:49

sehr fein und treffend geschrieben. seinerzeit hab ich mich ja auch noch auf zell gefreut, aber im letzten halben jahr ist sogar der letzte funke hoffnung verloschen. kommst nach zell, geht dir binnen zwei tagen alles auf den sack. schließlich erkennt man, dass es dieses stadt-dorf war, welches dich zu nem zwidren ungustl gemacht hat. (also nicht gottgewollt. oder eben doch?)
einziger lösungsansatz: weg, einfach nur weg.
wenn man alt und senil ist kann man wieder nach zell ziehen, da is es eh schon wurscht.

ledsgo - 25. Mai, 09:45

danke.
ja du hast schon recht, übrig bleibt einem nichts, als die klassisch- typisierte landflucht. sie wundert heute wohl kein schwein mehr, zumindest die nicht, die geflüchtet sind.
dass deine hoffnung erloschen ist liegt auch auf der hand, dich sieht man ja überhaupt nicht mehr in zell, was wohl auch schlauer ist als immer wieder zu kommen, um sich danach ein stückchen blöder als zuvor zu fühlen, ich werd mir ein beispiel an dir nehmen ;-)
Anna Bell - 31. Mai, 10:44

kürzlich bernhard gelesen?

ich würd ja gern aus gewohnter manier dagegenschreiben, aber ich bin seit jeher ein zellfeind, trotzdem ich noch hier wohn und das freundlose außenseiterdasein nicht kenn. aber in zell war immer alles am schlimmsten. wahrscheinlich auch nur deshalb, weil kein ort jeh die chance hatte, böses zu tun, man muss dazu gehören um ausgestoßen zu sein, oder abgeneigt ohne fremdes zutun, zumindest. woander is es sowieso immer schöner als zu hause. heuchlerei.

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