Der Holger meditiert. Ein philosophischer Rundgang.

In seiner Studierkammer eingeschlossen versinkt der Holger in sich selbst. Als studiosus philosophiae versucht er verzweifelt, etwas aus sich heraus zu quetschen, das er „da draußen“ noch nicht gefunden hat. Die Empirie sei letztlich zu nichts zu gebrauchen, denkt er schmunzelnd, um sich dann verneinend jenes ironisch gefärbte Nein um die eigenen Ohren zu hauen, dass ihm da sagt, dass genau genommen die Empirie nicht einmal für das Nichts zu gebrauchen sei, weil ja bekanntlich das Nichts nicht wieder etwas sein kann und so weiter und so fort. Parmenides für Anfänger. Das ist dem Holger nicht nur nicht geheuer, sondern vielmehr noch eine Ungeheuerlichkeit: dass ein alter Grieche eine Frage in die Weltgeschichte posaunt hat, die noch heute die Philosophen umhertreibt, kann sich ja nur um einen existenziellen Witz handeln. Schließlich, so Holger, könne es ja nicht angehen, dass das Abendland 2000 Jahre am Begriffskarussell gesessen ist, das sich ständig nur im Kreise dreht wie der empirische Kreisel, den wir Erde nennen. Dass die Philosophen auf ihren Ideen eher im Kreis geritten, als nach vorne gekommen, sind, ist dem Holger freilich schon klar. Aber dass die Geschichte als gesamte betrachtet jenem zweifelhaft-hündischem Vorhaben gleiche, dass da versucht, den eigenen Wedelschwanz zu erbeißen, kann letztlich doch als Zumutung aufgefasst werden, gegen die es anzudenken gilt. Aber auch hier lauert die all zu philosophische Gefahr: die geistigen Absichten drohen wie so oft die menschlichen Mittel zu sprengen. Schließlich hat es auch ein Stalin "gut gemeint".

Deshalb, um der philosophischen Absichten Willen, eine Flucht nach innen. Wenn draußen nur der Kreisel mit seinen Kreisen und die Bücher mit ihren Begriffen warten, muss einmal Einer so viel Mut aufbringen und nachschauen, was da drinnen alles wartet. Und so sitzt der Holger mit verrenkten Knien in seiner Studierkammer und meditiert. Schließlich müsse man offen sein. Wer etwas erschließen will, ja, wer etwas aufschließen und damit Aufschluss über etwas erlangen will, der muss zunächst einmal selbst aufgeschlossen sein, so der Holger zu sich selbst. Umgekehrt proportional zur Aufgeschlossenheit jedenfalls verhält sich die Holgersche Beweglichkeit, weshalb sein Lotossitz letzten Endes eher wie ein verunglückter Schneidersitz wirkt, den der Holger – etwas schummelnd – immer wieder mit den Händen nachbessern muss. Dazu blinzelt er heimlich – der echte Meditierende nämlich darf die Augen niemals öffnen, wenn er nach innen will (innen nämlich wartet für den echten Miditierenden erst das wahre Draußen, die Transzendenz) – und zerrt dann mit der rechten Hand am linken Fußgelenk et vice versa, weil ihm sonst sogar der Schneidersitz in eine Pose der Addukturendehnung abzugleiten droht: während des Meditierens nämlich geschieht es dem Holger, dass die zunächst übereinandergespreizten und angewinkelten Beine langsam aber sicher von der Körpermitte weg zur Peripherie gelangen, sodass irgendwann die Knie sich mehr und mehr durchstrecken und die Fußsohlen schließlich aufeinandertreffen, was dem Holger zwar angenehmer dünkt, aber zugleich auch der Meditation nicht zuträglich und überhaupt unangemessen zu sein scheint. Gelegentlich droht dabei sein Oberkörper umzukippen. Schließlich fehlt dem Holger nicht nur die Gelenkigkeit, sich der Meditation entsprechend hinzusetzen, sondern darüber hinaus auch die körperliche Fitness, um sich selbst in einer angemessenen Position zu halten. So ragt ihm letztlich doch die Empirie in sein Innen, welches nun das wahre Draußen hätte sein sollen, zurück. Eine wahrlich verwirrende Situation für den Holger, der daraufhin beschließt, erst einmal ein wenig Wasser zu trinken. Das ist nämlich einmal draußen und dann drinnen, zeige dementsprechend die richtige Richtung vor.

Während des Trinkens kommt Holger zu dem Schluss, dass zur Überwindung der Außenwelt erst einmal die Beherrschung derselben in Form von Körperbeherrschung nötig sei. Schließlich zeichne sich beispielsweise der Shaolinmönch durch eine ebenso gute körperliche wie mentale Selbstbeherrschung aus, was bei der Vielzahl an beherrschten Mönchen nicht dem Zufall zugeschoben werden könne. Darüber hinaus werde auch psychisch kranken Menschen der Sport, der durchaus als eine Art der Selbstbeherrschung betrachtet werden dürfe, empfohlen.
Insofern findet sich der Holger in einem Dilemma wieder: zur Überwindung der Empirie bedarf es der Flucht nach Innen, die erst erlaubt, wirklich hinaus – ins Transzendente – zu gelangen. Dafür aber braucht es zunächst die Beherrschung des Empirischen. Zumindest jener Teil des Empirischen, der man selbst ist – eben der Leib – muss bereits beherrscht werden, um überhaupt physisch in der Lage zu sein, seine Flucht nach innen antreten zu können. Dem Holger tut sich damit auf, was wir schon lange ahnen, nämlich dass er das Empirische so schnell nicht los werden wird: seinen Körper nämlich hat er noch nie beherrscht.

Während er über dieses komplizierte Verhältnis von innen und außen sinniert, starrt der Holger abwesend in sein Wasserglas hinein. So transparent wie das Wasser müsste man sein, denkt er. Gerne würde er sich selbst so durchschauen, wie er das Wasserglas durchschaut. Wenn er sich aber nach innen kehren will, sieht er zunächst schwarz und anschließend seine Füße, die nicht dort bleiben wollen, wohin er sie platziert hat. Und die sieht er streng genommen nur deshalb, weil er nicht mehr „innen“ ist.

Ein Zumutung, denkt er schneidersitzend in seinem Zimmer, dass nicht einmal seine eigenen Füße das machen, was er will. Zeit für Körperbeherrschung aber hat er jetzt nicht. Überhaupt könne man ja nicht alles auf einmal beherrschen und darüber hinaus stellt sich natürlich die berechtigte Frage, was seine Füße mit dem Sein als solchem zu tun haben sollen?

Letztlich entscheidet sich der Holger deshalb, jetzt einmal nichts zu denken und auch seine Füße in Ruhe zu lassen. Meditation, so sein Gedanke, gelinge ja nur, wenn man dabei nicht denke. Ob man beim Nichts-denken nun im Lotos-, Schneider- oder Dehnungssitz sitze, kann so wichtig schließlich auch nicht sein. Nur nicht denken. Oder Nichts denken? Nicht jedenfalls nicht Nichts denken, das wäre nämlich schon wieder etwas denken. Und das wiederum wäre, was er dauernd macht, der Holger.

Draußen vor dem Fenster bellt ein Hund. Der Holger, der im Nachhinein nicht mehr in der Lage war, sich über den Inhalt seines Denkens, das er während des Meditierens ja gar nicht denken wollte, Klarheit zu verschaffen – hat er nun nicht gedacht, oder hatte er nichts gedacht oder hatte er das Nichts gedacht und sei es, angenommen er hatte nichts oder das Nichts gedacht, nicht so, dass es in diesem Denkungsakt selbst schon wieder zu einem etwas geworden war – wird durch dieses Bellen jedenfalls aus seinen Meditationen gerissen. Ebenso stolz wie krummbuckelig erhebt sich der nun etwas verspannte Holger aus seinem Inneren, in dem er doch einige Minuten verharrt war. Eine solche Reise werde er, sagt er sich, wieder einmal antreten. Noch immer aber bellt vor seinem Fenster ein Hund, weshalb sich der Holger der Empirie wieder zuwendet. Vielleicht, so sein Gedanke angesichts dieses tatsächlich etwas hsyterischen Bellens, werde der Hund von jemandem gequält. Während der Holger dem Fenster immer näher kommt, wird das Gebell immer lauter und lauter. Schließlich erblickt der Holger einen kleinen Dackel, der wie verrückt im Kreis rennt und versucht, sich in den Schwanz zu beißen. Der Holger bricht daraufhin in schallendes Gelächter aus. Dieser dumme Hund quäle sich ja doch nur selber, denkt er sich, der Holger, und marschiert wieder zurück auf seinen Meditationslaminatboden.
Staubkorn - 18. Dez, 03:16

Die Frage der Introspektion, der Notwendigkeit zum Denken, entspringt zumindest einer potentiell pathologischen Grundhaltung:

Die unmittelbare existentielle Erfahrung tritt im Mangel am klarsten in den Vordergrund. Deswegen denken Mängelwesen fortwährend an ihre Existenz. Du hast dich zwar stets an der Gegenwart erfreut, doch auch maßgeblich Leid an ihr empfunden. Und wie verhält es sich mit jenen Propheten und Weltverbesserern, die unentwegt nach einer besseren Welt trachten und auf denen der menschliche Unrat wie Brechmittel wirkt? Ist es nicht gerade der Geruch der Druckerschwärze, was uns an den Zeitungen, an der Politik, an der Ökonomie, am Morden als unauffällige Rationalität, unangenehm erscheint? Jene Grundhaltung ist bereits a priori dazu bestimmt, auf das Leben disqualifizierend zu wirken - denn man kann nicht gegen die eigene Zeit, gegen das zeitgenössische Selbstverständnis kämpfen, ohne dabei selbst Schaden zu nehmen.
Die Konsequenz daraus ist ein Gefühl der Verstörung, des Ekels, das sich zeitweilen ergibt.
Ist es nicht ähnlich wie ein Kranker, der das Krankenhaus hasst, den sterilen Geruch und die Atmosphäre? Verhält es sich mit dem Menschen, der die Klinik "Welt" verstörend empfindet, den schweren Geruch der Geranien hasst, nicht ähnlich?

Deswegen sei jene Geisteshaltung erwähnt, die sich oftmals als Dünnromantik schimpft, als unethisch und kalt auf Außenstehende wirkt. Diese Art von Mensch ist unpolitisch und unmündig. Dieser Mensch denkt nicht, er ist seicht und oberflächlich.
Doch ist es jene Art von Mensch, die sich von der selbstmarginalisierenden hedonistischen Grundhaltung generell abhebt.
Vermag es nicht zuletzt diese Geisteshaltung zu sein, die schlussendlich gesünder und somit weniger pathologisch ist, als der befangene, handlungsgehemmte Denker.

Brav Lederer, immer wieder anregend!;)
Grüße Plonk

Ps: in der Küche isch no a Bier, mogsch lei trinkn wenne durscht hosch!;)

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