Der letzte Nerv

Rechts und links von mir, hinter den abgedunkelten Fenstern des Minivans, ist Urwald. Unter uns eine loechrige Strasse, teils Sand, teils Beton, teils irgendetwas anderes. Hinter mir sitzt ein schweizer Paerchen, neben mir meine Reisebegleiterin, vor mir ein Indones(i?)er, der kein Wort English spricht und ein Schweizer, der - wie der Rest im Minivan - kein Wort Indonesisch spricht. Die Strasse geht steil bergauf, eine Rechtskurve steht bevor. Ploetzlich steigt der Fahrer ins Gas und setzt zum Ueberholen an. Dass er etwas sehen koennte, scheint nicht nur mir unmoeglich, denn der gesamte Bus haelt den Atem an. Ein lautes Hupen, quietschende Bremsen und das Ueberholmanoever wird zurueckgebremst.

Ich denke mir in diesem Moment, dass der Fahrer nun wohl etwas vorsichtiger fahren werde, dass ihm dies ein Lehre sei. Einen solchen Irrsinn begeht ein vernueftiger Mensch kein zweites Mal. Aber die Indones(i?)er, das weiss ich mittlerweile, die sind nicht vernueftig. Es stellt sich heraus, dass solches Ueberholen auf Verdacht an der Tagesordnung steht. Ebenso stellt sich heraus, dass es hier nicht wirklich Gesetze beim Fahren gibt, die Grundregel lautet: der Groesste hat Vorrang, deshalb sind die verruecktesten aller Fahrer auch die LKW und Busfahrer.

Wir fahren also von Dumai, einer haesslichen Hafenstadt in Indonesien, gleich nach unserer Ankunft weiter nach Bukittinggi. Beim Durchfahren von Dumai wird schnell klar: hier verpasst man nichts. Kurz vorher allerdings hat ein oesterreichisches Paaerchen jene Faehre verpasst, die wir erwischt haben, das werden sie uns spaeter erzaehlen. Sie haben die Faehre verpasst, weil das Wetter in Melaka furchtbar war. Uns war das egal, oder eher: wir haben das so genau nicht bedacht. Ein bisschen mulmig war mir naturgemaess schon zumute, als wir nicht so sehr in See, als vielmehr in den Monsoonregen stachen. Die See, die sogenannte Strasse von Melaka, war demnach auch mindestens so holprig wie die indonesischen Strassen es sein werden. Vorm Fenster sieht man kein Meer, sondern Nebel, und ob die Faehre, auf der wir sitzen, vertrauenswuerdig ist, wissen wir auch nicht wirklich. Fakt ist aber auch, dass nach einer guten Stunde Wellengang und Herzklopfen der Spuk zu Ende ist, wir aufs Dach der Faehre duerfen, wo wir nicht nur einen wunderbaren Blick auf die Kueste Sumatras werfen koennen, sondern noch dazu zwei eigenartige Araber treffen, die von unserem Anblick mehr als belustigt sind und Fotos von uns machen wollen. Dasselbe will dann auch noch ein Indones(i?)er, was uns klarmacht, dass nicht viele Touristen diese Route einschlagen.
Die beiden Araber aus Ghaza und Saudi Arabien sprechen kaum English und sind mir ein wenig suspekt, wenngleich sie eigentlich ganz lustig waren. Was sie auf dieser Faehre machen, weiss allerdings keiner, und sie koennen es uns auch nicht klarmachen. Vom Oel-Multi bis hin zum Terroristen koennte ihnen alles zugetraut werden.

Irgendwann, nach einer - im Nachhinein - eigentlich schoenen Fahrt, sind wir also in Dumai, wo wir ein Visum erkaufen und gleich einen Bus bekommen, eben jenen Bus, der uns zum ersten Mal vor Augen fuehrt, wie auf Sumatra auto gefahren wird.

In jeden Fall waere zu erwarten gewesen, dass Bukittinggi noch am selben Tag - die Faehre kam ca. um 13 Uhr an - erreicht werden koenne, schliesslich bloss 600 Kilometer. Fakt ist jedoch, dass wir nach 7 Stunden in Pekanbaru angekommen sind, was 200 Kilometer von Dumai entfernt ist. Trotz zahlreicher, verrueckter, Ueberholmanoever. In Pekanbaru gabs dann einige Hotels, die meisten aber waren "No Foreigner" Hotels, manche waren auch "No English" Hotels, und so brauchten wir eine ganze Weile, bis wir endlich ein Bett fuer die Nacht fanden. Mehr hatte auch Pekanbaru nicht zu bieten, auch eine haessliche Stadt, im Prinzip mitten im Jungle, neben einer Oelpipeline. Menschen und Schmutz, sonst nichts.

Am naechsten Morgen dann Weiterfahrt nach Bukittinggi. Wieder 7 Stunden, wieder kein English, dafuer ein paar Indones(i?)er im Minivan, die sich koestlich ueber uns amuesierten. Mittlerweile den Fahrstil schon gewohnt, konnte ich mich wenigstens ueber die Landschaft freuen, denn eines muss klar gesagt werden: die Schoenheit des Landes bzw. der Insel ist kaum zu ueberbieten. Durchwucherte Berge, Schluchten, Fluesse, Vulkane, alles auf kleinstem Raum, dazwischen Palmen, Reisterassen. Mitten durch diese verdschungelten, verwaldeten Berge wurschtelt sich eine Strasse, und auf dieser Strasse wurschteln sich eben Autos, und ueber das Wie der Strassen und Autos sollte man sich, wenn man Sumatra bereisen will, einfach keine Gedanken machen. Das Beste ist, man macht es den Einheimischen gleich: man verlaesst sich auf sein Glueck, man hofft und denkt: es wird schon gut gehen. Die Einheimischen fahren sowieso nach dem Motto "Augen zu und durch", weil sie dauernd und ueberall schlafen, aber als Tourist will man logischerweise auch was sehen. Und zu sehen gibts genug.
Irgendwann kommen wir in Bukittinggi an, ein nettes Bergdoerfchen auf den ersten Blick, rundherum Gebirge, zwei aktive Vulkane und ein Bergsee 44 Haarnadelkurven steil bergab eintfernt. Einen dieser Vulkane haben wir bestiegen, was uns eine der unglaublichsten Aussichten ueberhaupt geboten hat - vom Berg sieht man ueber das restliche Gebirge hinweg bis ans 150 Kilometer entfernte Meer, waehrend dahinter der Krater heisse Daempfe ausspeit. Aufstieg dauerte ca. 3 Stunden, obwohl wir 5 eingeplant hatten, weshalb wir sehr lange Pausen irgendwo im Urwald machten. Unser Guide war einfach zu schnell, und wir zu stolz, um ihm zu sagen, er solle sich zeit lassen. So sind wir mitten in der Nacht, um den Sonnenaufgang vom Gipfen zu sehen, durch das Dickicht des Waldes geklettert, was ein wenig gruselig, aber doch auch ganz lustig, war.

Oben dann, wie gesagt, unfassbare Befriedigung, Schoenheit und Freude, aber auch Angst: man muss da wieder runter. Das hat dann auch ewig gedauert, und unten waren wir ziemlich kaputt. Muskelkater und schoene Fotos sind die Langzeitfolgen dieser Tour.

Am naechsten Tag gings dann nach Maninjau zu einem Bergsee, auch ein sehenswerter Fleck, den wir auf einem Moped erkundeten, was angesichts des katastrophalen Strassenzustandes (Erdbeben 2009, Erdrutsche andauernd, O-Ton Hotelier) ein teilweise haarstrauebendes Unterfangen war. Trotzdem eine spassige Geschichte, die mehr als empfehlenswert ist, auch wenn uns nach diesem Mopedtag nicht mehr wirklich Aktivitaeten einfielen: es gibt dort einfach nichts. Ein paar schaebige Hotels, ein paar Kaffees und das wars, kein Internet, kein gar nichts.

Weil uns das ganze Sumatra trotz seiner Schoenheit und Abenteuerlichkeit aber nach dieser Woche schon etwas auf die Eier ging, beschlossen wir deshalb, nach Padang zum Flughafen zu fahren, um irgendeinen Flug nach Jakarta - oder sonstwohin auf Java - zu bekommen. Sumatra, das ist beschwerlich und grossteils unfreundlich, weil auf Sumatra die Weissen nicht gerade gern gesehene Gaeste sind, ausser sie bezahlen brav. Aber auch das brave bezahlen ist keine Garantie dafuer, dass die Leute einen nicht mehr von vornherein schief anschauen: hat man Glueck gelingts, sonst muss man mit feindseligen Blicken rechnen.

Uns wars jedenfalls Einerlei, weil wir ohnehin das Weite suchen konnten. Und wie es der Zufall so wollte, erreichten wir gestern um halb 6 abends den Flughafen Padang, und um 6 sassen wir dann im Lion-Air Flieger nach Jakarta. Lion-Air, das klingt aufs erste Hoeren vielleicht abenteuerlich, de facto aber eine sehr intakte Maschine, die uns sicher innerhalb einer Stunde nach Jakarta brachte.

Jakarta selbst ist dann wieder einmal Zivilisation, aber keine wuenschenswerte. Auch hier eher Feindseligkeiten, nur gelegentlich erfreute Blicke. Ausserdem Unmengen an Menschen und Autos, kein oeffentliches Verkehrsnetz, und das fuer 26 Millionen im Grossraum. Das heisst konkret: Schmutz, Smog, Gestank, Dreck. Sehenswert ist eigentlich nichts, oder vielleicht noch die 3. groeste Moschee der Welt, aber die ist auch nur sehenswert, weil sie riesig ist, und nicht, weil sie irgendwie schoen waere.

Im Endeffekt aber sind wir doch froh, auf Java zu sein, weils hier einiges zu sehen gibt, und weils hier sogar einen Zug gibt, mit dem man sicher und ruhig fahren kann. Keine Minibusse mehr mit Menschen, die man weder versteht, noch kennt, und keine Strassen mehr, die man selber besser haette Pflastern koennen, und keine Fahrer mehr, die bei uns im Irrenhaus sitzen wuerden. Das trifft sich gut, wenn man nur noch einen Nerv, naemlich den letzten, hat.

Gut trifft sich aber auch, dass es trotzallem ein schoenes, ein sehr differentes und sehenswertes Land ist, dieses Indonesien, und gut ist auch, dass wir bisher alles gut ueberstanden haben, was darauf schliessen laesst, dass ohnehin alles halb so schlimm ist, wie es mein Kopf mir wiedergibt. Tatsaechlich ist das Reisen hier ein wenig jenes Abenteuer, was sich der sogenannte Individualreisende erwartet, weil viel Reisende gibts hier sowieso nicht. Man muss schauen, wie man weiterkommt, zumindest bis Bali, da duerftet dann der sprichwoertliche Baer steppen, und darauf darf man sich freuen, umso mehr natuerlich, wenn man nicht einfach dahin fliegt, sondern das ganze auf Umwegen erreichen will, auf denen nicht immer als so einfach ist, wie es vielleicht sein sollte, dafuer aber alles umso verschiedener und spannender erscheint.

Fazit: Sumatra ist schoen und sehr sehenswert, aber ein zweites Mal sieht mich die Insel nicht, oder wenn in 50 Jahren, wenns dort ein Verkehrssystem gibt, und nicht nur Verkehr. Jakarta ist haesslich und sieht mich ohnehin nur, weil ich auf der Durchreise bin.

Aussichten: Yogyakarta wird spannend werden. Heute mit dem Nachtzug dorthin, das spart nicht nur Geld fuers Hotel, sondern auch Zeit, und in Yogyakarta und Umgebung gibts nicht nur Vulkane, sondern auch jede Menge Tempel und Ruinen von buddhistischen und hinduistischen Glaubenszentren zu bestaunen. Auch die Stadt selber soll sehr sehenswert sein, insofern wirds dort wohl einen laengeren Stop geben, bevors nach Bali geht.

Sonstiges: Physischer Zustand gut, psychischer Zustand ausbalanciert, obwohl gewissen Schwankungen unterlegen, weil 1. das Bier hier sauteuer ist, was einen veraergert, weil 2. der Tourist an sich Opfer des Abgezockt-Werdens ist und weil 3. das Essen nur sehr selten essbar ist. Trotzallem bin ich sehr optimistisch, weil je weiter oestlich, umso buddhistischer und hinduistischer und touristischer wird das Land, d.h. spaetestens auf Bali gibts freundliche Menschen und billiges Bier. Und wenns uns zuviel wird, hauen wir wieder ab!

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