Der Holger und die grüne Jacke (Holger II)

Der Holger und die grüne Jacke

Unsympathische Leute trifft man bekanntlich an unsympathischen Orten. Wenn Einem schon der Ort an dem er sich befindet unsympathisch ist, dann werden konsequenterweise auch jene unsympathisch sein, die sich freiwillig an besagtem Orte aufhalten. Deshalb scheint es mir in dem Moment des Erkennens auch logisch, dass auf der Mariahilferstraße in dem Menschengewühl, das chaotisch durch die Gegend schwirrt, gerade der Holger mir ins Auge sticht. Da steht also der Holger auf der sogenannten Mahü, trägt eine grüne Jacke, eine braune Hornbrille und einen eigenartigen blonden Kopf, der die vorbeigehenden Leute angrinst. Ich will zwar nicht, muss aber leider in das ökonomische panta rei hineingleiten, und wenn ich dahin will, wohin ich muss, dann muss ich auch am Holger vorbei. Und da mittlerweile klar ist, was der Holger hier treibt – er will nämlich Spenden eintreiben – bekomme ich es mit der Angst zu tun.
Der Holger redet ja nicht gerne mit fremden Leuten, und da ich in geringerem Maße fremd bin, als die anderen Leute hier, kann davon ausgegangen werden, dass der Holger mich anreden wird, wenn er mich sieht. Er würde mich naturgemäß nicht gesehen, sondern erkannt haben, aber wie so oft würde das vom Resultat her gleichgültig sein. Und noch ehe ich mir eine unauffällige Route habe ausmalen können, grinst der Holger schon in meine Richtung, starrt mich durch die Hornbrille mit Fliegenaugen an und fragt, ob ich nicht ein Sekündchen für ihn hätte, wobei es ihm nicht zu blöd ist, gleich anzumerken, dass ich als Philostudent ohnehin immer Zeit haben dürfte. Auch daraufhin grinst der Holger mir aus der Brille heraus entgegen als hätte er endlich ein philosophisches Werk entdeckt, das ihm Antworten liefert und nicht weitere Fragen. Der Holger schaut tatsächlich sehr glücklich aus hier auf der Mahü, denke ich mir, so unter Leuten zu sein, meine ich, tue ihm gut. Trotzallem kann ich mir keinen Disput mit dem Holger leisten, nicht weil ich keine Zeit habe, sondern weil diese besser verschwendet werden will. Deshalb erkläre ich ihm, ich müsse zum Thalia, zwecks der sogenannten Primärliteraturbeschaffung nämlich müsse ich dringend zum Thalia und dann eben auch nachhause die beschaffte Primärliteratur lesen.
Das stimmt zwar nicht, ich muss in Wahrheit ein paar Jeans kaufen, aber ich denke mir, dass so Einer wie der Holger das nicht einsehen würde, wenn ich ihm erklärte, ich bräuchte ein Paar Energy- Hosen, da leuchtet dem Holger schon eher ein, dass ich was zur Humboldt'schen Energeia brauche. Jetzt denke ich mir, wird mich der Holger schon in Ruhe lassen mit seinem selbstzufriedenen Gewerbe, mit seinem politisch korrekten Kapitalismus, mit seiner aus der Not (Anderer) eine Tugend- Macherei, weil wenn der Holger etwas versteht, dann die Wichtigkeit des Lesens für einen Philosophen, aber der Holger, der sagt nur: „Ach was, mit den Büchern ist es wie mit den Toten: die rennen uns nicht weg!“ und grinst wieder blöd und ich frage mich ernsthaft, ob ich mir diese Freichheit gefallen lassen muss. Er, der Holger, der überhaupt immer nur in Büchern lebt, der schon mehr Bücher aus-, wie ich angelesen habe (oder das zumindest behauptet), kommt mir plötzlich mit sowas, kommt mir plötzlich mit der Weisheit – die er bekanntlich liebt - , dass uns Bücher nicht davonlaufen können. Ich frage mich eine ganze Weile ob ich ihm nun kulturpessimistischerweise Antworten soll, dass darauf durchaus kein Verlass sei, dass schließlich noch vor 60 Jahren ganze Büchereien ausgebrannt wurden, dass historisch betrachtet es ein Luxus ist, heute überhaupt lesen zu können und das nicht sicher sei, wie lange man noch frei lesen dürfe, lesen dürfe was man lesen wolle und dergleichen mehr, entscheide mich dann aber gegen eine Diskussion mit dem Holger, weil das ohnehin keinen Sinn hätte.
Darum frage ich den Holger, was er eigentlich wolle, und der hält mir sofort einen Wisch unter die Nase, und meint, ich solle mir das kurz durchlesen, es handle sich um Amnesty International und er wolle nur ein wenig Geld für die Unterstützung armer Kinder armer Länder. Jetzt also doch wieder lesen, denke ich mir, lese aber nicht, sondern wundere mich, warum er dann eine Greenpeace Jacke trägt. Und während ich diesen Folder durchblättere und mich halbverhungerte Afrikaner, Asiaten und Latinos mitleidig anblicken muss ich gedanklich darauf insistieren, dass der Holger falsch gekleidet ist. Der Holger erinnert mich in diesem Moment ein wenig an die Kirche, weil die Pfaffen und Kardinäle auch immer unpassend gekleidet waren, und weil die Pfaffen und Kardinäle auch immer das gute Gewissen im Sonderangebot hatten. Und wie man den Pfaffen und Kardinälen seine Sünden erzählt hat und für ein paar Münzen dann frei von Schuld war, erzählt man dem Holger ein bisschen über die gemeine Welt des Westens, postkoloniale Frechheiten und spätkapitalistische Mechanismen, gibt ihm dann ein paar Münzen monatlich aufs Konto und hat ständig eine Entschuldigung parat für die Welt, in der man geboren wurde. Man braucht sich, wenn man den Holger bezahlt, für den Reichtum, in dem man lebt, nicht mehr schämen und kann sich sogar einen Samariter nennen, der tue was er kann; wenn Einem das nicht zu peinlich ist.
Aber ich beschäftige mich noch immer mehr mit der Jacke Holgers, als mit den nackten Kindern im Kinderkatalog, was ich als Beweis für die Perversität unserer Welt schlechthin einschätze, als mir der Holger plötzlich in die Gedanken faselt, dass ich als Philosoph doch wissen müsse, wie es um die Welt stünde, und dass selbst in unserem Land die Bildungsgelder zu kurz kämen, dass aber vor allem ich persönlich dafür verantwortlich sein könnte, einem der Kinder aus dem Kinderkatalog eine Ausbildung zu bezahlen. Denn Bildung, so der Holger, sei das allerhöchste Gut. Beim Holger wäre das höchste Gut eine Um- Bildung, denke ich mehr und muss dabei schmunzeln, weil die Bildung offensichtlich nicht viel Nutzen hatte, aber beim Schmunzeln durchzuckt es den Holger so stark, dass seine Hornbrille auf der Nase herumtanzt und das Blut ihm in die Backen schießt. Ob ich es komisch finde, fragt er, dass täglich allein in Afrika 36. 000 Menschen verhungern, während in Österreich mehr Essen weggeworfen, als gegessen wird? Ich finde das natürlich nicht komisch, sage ihm auch, dass dieser Umstand alles andere als komisch ist, bin aber trotzdem in einer misslichen Situation, weil ich ihm den eigentlichen Grund meines Lachens nicht preisgeben darf, ohne ihn noch mehr zu erzürnen. Deshalb erkläre ich ihm kurzum, dass ich nur lachen müsse, weil er eine Greenpeace- Jacke trage und dabei Patenschaften verkaufen will, weil das ein wenig wirke, als wolle er arme Kinder als Haustiere an den Mann bringen. Daraufhin wird der Holger allerdings noch röter und der Tanz seiner Hornbrille beschleunigt sich zu einem zittrigen Charleston und mir wird schnell klar, dass ich ihm hier eine Gemeinheit unterstelle.
Der Holger fasst sich wieder und erklärt mir, dass ihm während seiner Arbeitszeit, die er gleichsam als soziologische Feldforschung betrachte, aufgefallen sei, dass die Greenpeaceverkäufer weit besser ankämen als die Amnestyverkäufer, und dass er deshalb eine Greenpeacejacke trage. Ob er denn, frage ich, glaube, die Menschen hier hätten mehr Mitleid mit armen Tieren als mit armen Menschen, und als er behauptet, zumindest seine persönlichen Erfahrungen würden dies bestätigen, muss ich dann doch nachdrängen und dem Holger eine philosophische Fragestellung an den Kopf werfen: Woran denn das liege, würde ich gerne wissen.
Auch er, sagt der Holger, stelle sich diese Frage. Er meint, die Menschen hier seien zu gesättigt von Bildern armer Menschen, hätten schon zu viele Ausreden gehört, die sie glauben, weil, dass die westliche Gesellschaft grundsätzlich schlecht ist, könne und wolle er nicht glauben. Und dass die philosophische Fakultät einen Zulauf habe, beweise schließlich, dass doch noch Menschen in Österreich leben, die ein kritisches Potential besitzen und bereit seien, sich Alternativen zu überlegen.
Ich überlege kurz, ob ich ihm mein persönliches Philosophieverständnis explizieren soll, ein Verständnis, das mit Politik überhaupt nichts zu tun hat, werde aber gleich unterbrochen, denn der Holger fragt, ob ich denn Interesse hätte an einem der Kinder.
Um nicht wieder etwas Falsches zu sagen, erkläre ich dem Holger, dass mich solche Kinder natürlich interessieren, dass ich aber, und er als Student mit begrenzten Mitteln werde das doch verstehen, einfach kein Geld habe, und dass ich jetzt auch noch mit einem schlechten Gewissen zum Thalia muss, werfe ich ihm auch noch an den Kopf.
Der Holger, der sichtlich noch nicht locker lassen will, aber jetzt keine Schiene mehr hat, auf der er mir noch kommen könnte, fuchtelt ein wenig mit dem Kinderkatalog herum, und ich denke mir, es wäre interessant, den Holger selbst in so einen Katalog zu stecken, nur um zu sehen, ob er nicht irgendwo Mitleid würde erregen können.
Dass der Holger ein mitleiderregender Bursche sein kann, das hat er schon öfter bewiesen. Jetzt steht der Holger schon wieder da, in seiner grünen Jacke, die einer dummen Überlegung folgend den Holger zum Affen macht, ohne dass er es merkt, mit seiner dicken braunen Brille und dampfenden Augen, weil ihm scheinbar die Stille zur Pein wird, und weil ihn die Peinlichkeit erröten und dampfen lässt, sodass die Brille beschlägt und der Holger ausschaut, als hätte er keine Augen. Und tatsächlich, denke ich mir, steht hier ein Blinder vor mir, der geistig zu erkennen meint, was er seinen Augen nicht glauben will.
Und so steht der Holger auf der größten Einkaufsstraße Österreichs und meint, mit guter Absicht zu handeln, und gut gemeint ist auch meine Verabschiedung vom Holger, weil ich ihm die restliche Peinlichkeit ersparen will, und so gehe ich meinen Weg, und der hilflose Holger samt seinen hilflosen Kindern im Kinderkatalog steht noch ein wenig herum und blickt mir sichtlich enttäuscht nach, entsinnt sich aber rasch und überlegt in einem unvorsichtig- undisziplinierten Denkmoment so etwas wie: „Ein paar muss ich heute schon noch loswerden, zwecks Provision“, aber dann fällt dem Holger auch schon wieder ein, dass der Mensch bekanntlich nie bloß als Mittel betrachtet werden darf, und so vermittelt er vermutlich noch immer zwischen Zwecken an sich, die in seinem Kataloge höchstens zweckentfremdet sind.
Rischl - 5. Mai, 22:01

nein, das find ich nicht nett, wenn dies seitenmonster mir den kommentar verweigert und ich mich aufs neue dem unendlichen netz preisgeben muss, die frage ist bloß, wo ist die spinne.

nun.
wirklich nett, dass die supermacht google bereitwillig an erster stelle deinen blog auswirft, wenn man deinen namen eintippselt in das kästchen, das das fenster zur welt bedeutet.

wirklich unnett find ich aber auch, dass ich dir da nicht mal einen netten begrüßungskommentar schreiben darf, ohne auf etwas von dir geschriebenes bezug nehmen muss. weil wo kämen wir da hin, dürfte ich nicht einfach frisch von der leber dir etwas mitteilen. auch wenn man natürlich einwenden könnte, alles bezieht sich irgendwo auf etwas vorhergegangenes (oder -geflossenes), nichts existiert rein durch sich und für sich selbst. schade. aber wo kämen wir da hin.
weil. die sache ist ja die. die zeit vergeht. und ich werd auch nicht flotter im alter, und anscheinend schon gar nicht einfallsreicher, aber das hat nichts mit dir zu tun, obwohl, wer weiß, jedenfalls, mein guter, musst du auf meine auf dein geschreibsel bezugnehmende dich vom geistigen hocker (oder auch aus dem sattel eines rössleins) werfen werdende kommentare noch ein biiiiiiiiiisschen warten. und ich zuvor natürlich auf meine mir zustehende, weil öffentliche, ja bin ich denn die öffentlichkeit, und wenn ja, bin ich dan nicht mehr privat und alles, und mich hoffentlich ergötzende (sag bloß, DAS wort kennste auch nicht) lektüre.

ledsgo - 5. Mai, 22:43

Die Spinne spinnt das Netz in deinem Kopf, soll heißen sie sitzt und kratzt sich mit 8 Beinen den Bauch nach einem langen Uni- Tag, an dem sie mit "Wissen" gefüttert wurde ;-)
Rischl - 10. Mai, 22:35

die spinne, die ist ganz woanders.
heute panopticon. in einem seminar. und in der mitte sitzt sie dann.

Musik

Aktuelle Beiträge

Gefällt mir auch rein...
Gefällt mir auch rein äußerlich gut, simple Paarreime,...
Staubkorn - 19. Apr, 18:37
...
Keiner, der dich noch erwartet niemand hat dich hier...
ledsgo - 18. Apr, 18:00
Sehr schön Lederer!;)
Staubkorn - 11. Feb, 10:29
Zeitlebens
Tage prallen aneinander wie Regentropfen sanft und...
ledsgo - 8. Feb, 12:24
Mortalphilosophie *g*
Mortalphilosophie *g*
Staubkorn - 29. Jan, 15:35

Musik


Alltägliches
Gelesenes
Wahrheiten und (Un)Brauchbares
Zitate
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren