Montag, 11. Februar 2008

Lust auf Schwulsein?

Ich weiß nicht, woran es liegt, dass an einem geistig so unfruchtbarem Orte, wie es Salzburg ist, seit Mitte Januar die Sonne scheint. In jedem Fall hängt sie am meist wolkenfreien Himmel und lässt die Tage so ganz und gar nicht winterlich erscheinen, dass Einem beinahe in den Sinn kommt, der Klimawandel mache sich spürbar, was natürlich Unsinn ist.
Nun entschied ich mich an einem jener Sonnentage, an denen ich mit Zweifeln aus dem Fenster blickend rasch weitere Pioniere entdeckte und mir dabei wohlwollend ein leises und optimistisches "Ja" über die Lippen ging, mit dem Rad zum Training zu fahren. Ich setzte also mein Vorhaben in die Tat um und radelte der Salzach entlang am bereits mittelmäßig frequentierten Musikum-Radlweg in Richtung Volksgarten. Mit Sonnenbrille, IPod und einem Coffee-To-Go wurde mir diese leichte körperliche Ertüchtigung zu einer so angenehmen Tätigkeit, dass ich heute sagen kann: Zweckmäßiges Radfahren (ich hasse es, einfach Rad zu fahren, um Rad zu fahren) - der Aufwand des Radfahrens muss bei mir sehr wohl einem Zweck dienen - ist mein neuestes Hobby.

Die Stadt Salzburg ist aber raffiniert, ja schlauer als ich, wäre sie doch nicht Salzburg, wenn sie mir nicht ein Bein stellte, wo sie nur könnte. So scheint heute zwar immer noch freundlich die Sonne, dafür aber peitscht ein dermaßen kalter und abscheulicher Wind durch die Gassen, dass es schier unmöglich ist, gegen ihn anzugehen, geschweige denn zu radeln.
Was also tut der Nicht-mehr-Autolenker in seiner Not, um von A nach B zu gelangen, ohne B mit Tränen des Schmerzes und Frostbeulen an jeder erdenklich freien Hautstelle zu erreichen? Richtig, er- und in diesem speziellen Fall eben Ich- nimmt den Bus. Ja, den Bus. Das heißt: 10 Minuten durch das Arschloch von Wind, dann noch 3 Minuten warten, weil der Bus Verspätung hat, was eigentlich zu erwarten war. Dann im Bus möglichst unauffällig sein, was nie gelingt wenn man's sich vornimmt, weil man sich zu geizig ist, 2 Euro zu bezahlen (obwohl der Preis eine absolute Frechheit, ja der reinste Hohn ist). Dafür dann ein schlechtes Gefühl, Unsicherheit und dauernd die Frage: hätte ich nicht doch ein Ticket kaufen sollen?
Nun, bedingt durch die Kälte, der Nervosität des Schwarzfahrens, sowie all den Gesichtern, die einem gierig überall hinstarren, wenn man nur erst wegsieht, weil ihre Neugierde Alles und Jeden betrifft, entstand in mir eine Gefühlskomposition, die von Unwohl bis hin zur Abscheu alles hätte sein können.
Belebt von diesem undefinierbaren Gefühl, und in der Hoffnung, es möglichst bald auf irgendetwas abzuwälzen, sehe ich es nun: in der Bushaltestelle gegenüber, 2 Stopps vor meiner Endstation, ein weiterer OBus, die komplette rechte Seite von einem riesen Werbeplakat belebt, auf dem da steht:"Lust auf Schwul sein? Lust auf Leben!" Dieser geistreiche Slogan also auf einem öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt Salzburg, und ganz hinten und kleingedruckt:"Kondome schützen. Österreichische Aidshilfe". Nun konnte ich natürlich zuerst gar nicht fassen, was ich da las- nicht, weil ich nicht aufgeklärt genug wäre, um zu wissen, das Schwulsein heutzutage entabuisiert ist (oder zumindest sein sollte), sondern weil ich es einfach unglaublich finde, dass ein Bus direkt beim Salzburger Justizgebäude mich einfach so fragt, ob ich denn Lust habe, schwul zu sein.
Ich meine, was soll das heißen, Lust haben schwul zu sein? Aufs Schwulsein hat man doch keine Lust, schwul ist man, oder eben nicht. Und wenn nun jemand schwul ist, so hat dieser Jemand vielleicht Lust darauf, Schwules zu tun, aber auf den Umstand, dass er schwul ist, kann er doch unmöglich Lust haben, denn er ist sowieso schwul; selbst wenn er keine Lust darauf hätte, was wären seine Alternativen? Ich habe ja auch keine Lust darauf, hetero zu sein. Ich habe Lust darauf, eine Frau zu vögeln. Und dasselbe ist es bei Schwulen, nur ist ihr Lustobjekt gleichgeschlechtlich. Und genau das wird meiner Meinung nach falsch impliziert: Lust auf Schwul sein soll eigentlich meinen: Lust, Einen in den Arsch zu ficken? Tut es aber nicht. Lust auf Schwul sein impliziert überhaupt nichts, weil der Satz keinen Sinn ergibt.

Noch schlimmer der zweite Satz:"Lust auf's Leben!" Was soll das wieder heißen, dass ich, wenn ich Lust darauf habe, schwul zu sein, das Leben bejahe, weil ich dann Lust auf's Leben genauso habe? Oder habe ich genau dann Lust auf's Leben, wenn ich schwul bin? Haben Schwule mehr Lust am Leben? Ich will es gar nicht bestreiten, es wäre ja möglich, aber eine Allgemeingültigkeit wird dieser Satz wohl kaum erreichen.
Nun habe ich mich im Bus sitzend gefragt, ob ich, der ich von mir behaupten kann, hetero zu sein, wohl Lust darauf hätte, schwul zu sein. Und ich bin zum Schluss gekommen, dass ich keine Lust darauf habe. Das heißt also, ich habe auch keine Lust auf das Leben.
Aber ich bin auch zu dem Schluss gekommen, dass das nicht weiter tragisch ist, keine Lust aufs Leben zu haben. Denn mit dem Leben ist es wie mit dem Schwulsein:

Es ist nicht so, als hätte man die Wahl.

Freitag, 25. Januar 2008

Überzeugungen

Wenn Max Frisch in seinem "Homo Faber" von Gewissheiten, Überzeugungen quasi, schreibt, und wie schnell sich jene Gerüste im Kopf des Einzelnen, in Ungewissheiten verwandeln können, weiß Frisch natürlich längst, wovon er schreibt. Das Buch, als "Ein Bericht" verfasst, hat seine sprachliche Kompetenz in diesem Untertitel gefunden, ist poetisch nicht weiter wertvoll, gut lesbar wegen seiner frequenten Einfachheit; ein eschreckend berichtender Bericht, der sich keine Ausflüge in metaphorisches Schreibgeschick leistet, der nur anführt, was wissenswert ist.

Faber, der Protagonist, glaubt nicht an Zufälle. Er, als Techniker und Mathematiker, weiß über Wahrscheinlichkeiten, insofern also auch, dass Unwahrscheinliches eintreffen mag. Er sieht keinen Gott hinter den Zufällen, er sieht Zahlen dahinter. Nun erschüttern jenen Faber, der so unerschütterlich sein Leben führte, also wäre er selbst nur ein Automat, der auf gewisse Inputs adäquate Outputs liefert, Zufälle (Flugzeugabsturz, Schifffahrt, lernt seine eigene, bereits erwachsene Tochter kennen und lieben, etc), die ihn selbst Zweifeln lassen, ob denn wirklich nur Zufall hinter all dem sich verstecke.

Die Geschichte, nicht weiter spannend, hat keine Besonderheiten, hat mir deshalb auch nie sonderlich gefallen. Ein Buch, das jeder schreiben könnte, ging mir durch den Kopf, als ich es zum ersten Mal las. Aber, wie bereits gesagt, wusste Frisch natürlich, wovon er schreibt. Ich allerdings, ich wusste längst nicht, was ich eigentlich las. Ich verstand keine Bedeutung in Fabers Zweifel, sagte mir nur, dass doch jeder zweifelt, wenn er an Übernatürliches (Gott) denkt. Dabei ging es Frisch nie notwendigerweise um Gott, oder um Fragen, die nicht zu beantworten sind. Frisch ging es um die Überzeugungen, an die wir glauben. Um das wissen, an das wir glauben. Und um die Erschütterlichkeit dessen, das uns als Tatsache im Kopf nur so lange glaubwürdig bleibt, bis unsere Routine im Dasein - durch Zufall? - unterbrochen wird. Frisch stellt auf seine Weise klar, dass wir selbst an das, was bewiesen ist, nur glauben, bis uns dieses wissenschaftlich Bewiesene als Antwort nicht mehr reicht. Faber glaubt solange an seine mathematischen Wahrscheinlichkeiten, bis ihm die Zufälle nicht mehr zufällig einzutreffen scheinen.

So erhebe ich hier den Zweifel, die Erschütterlichkeit des Menschen, zu dem Hauptelement in Frischs Text. Und somit erlaube ich mir auch zu folgern, und diese Elemente auf alle Ebenen des menschlichen Lebens auszuweiten, erlaube mir zu behaupten: all unsere Überzeugungen gelten genau so lange, bis wir vom Gegenteil überzeugt sind. Und so leben wir, einmal an die Liebe glaubend, bis sie uns oft genug verletzt hat, einmal ein überzeugter Sozialist, bis wir genug Geld haben, um Kapitalist zu sein, um herauszufinden: Geld allein macht auch nicht glücklich. Also doch wieder Liebe? Frau und Kinder. Nein, doch wieder Freiheit- Scheidung.
Es verfolgt uns unser ganzes Leben: die Frage nach dem, was wir eigentlich (sein) wollen, der Zweifel an dem, was wir sind.

Und so werden wir sterben, entweder mit der letzten Überzeugung, auf die wir uns stützten, oder mit dem wissen, dass nichts Menschliches je dauerhaft sein wird.

Samstag, 28. Juli 2007

Im Sommer

Im Sommer sieht man bekanntlich alles lockerer. Man trinkt Bier, meinetwegen auch Wein oder sonst was, und hat nur eines im Kopf: wie kühle ich mich am Effektivsten?
Da der Kopf sich existentiellen Fragen widmet, wird dann gerne geglaubt, was Einem irgendwo erzählt wird. Deshalb ein paar Zeilen, die den Sommerfrischler von heute zurückbringen soll – auf den Boden der Tatsachen:

- Es wird keine 4%-ige Lohnerhöhung geben.

- Wir wollen nicht, dass die Türkei der EU Beitritt.

- Hera Lind hat nichts mit Literatur zu tun.

- Der LASK wird nicht Meister.

- Der Bremsen und Stechmücken – Massenmord gilt weiterhin als moralisch unbedenklich.

- Der Hausverstand weiß nicht alles. Er spielt sich nur auf.

- Ja! Natürlich hilft ihnen nicht dabei, ein besserer Mensch zu sein.

- Nein, Billa will nicht den Menschen helfen, gesünder zu leben. Billa will Gewinne machen, auch im Sommer.

- Nur weil der Benzin teurer wird, müssen sie noch lange nicht mit dem Rad fahren, vor allem nicht, wenn sie ein Klima- Anlage haben.

- Coke Zero ist kein Garant für ihr Wohlergehen. Die Möglichkeit, Cola ohne Zucker herzustellen bedeutet nicht, dass auch für sie alles möglich ist.

- Sommerhits sind beschissen.

- Regenschirme sind beschissen. Auch wenn Rihanna sie besingt bzw. sie neuerdings auch noch bewirbt.

- Rihanna selbst ist genauso beschissen.

- Der Bikini macht nicht jeden Hintern knackig. Es gibt auch Badeanzüge.

- Reggae ist auch im Sommer kein gültiges Genre.

- Am See über ein Seil balancieren und alternativ aussehen ist weder amüsant noch lässig.


Und zu guter Letzt:

- Sie dürfen auch bei Sonnenschein deprimiert sein.

- Schönes Wetter ist keine Entschuldigung für alles.

- Schönes Wetter ist keine zulängliche Ausrede.

- Schönes Wetter muss nicht angenehm sein.


In diesem Sinne wünsch ich auch weiterhin einen schönen Sommer!

Dienstag, 24. Juli 2007

Manchmal.Einfach.

Manchmal sitze ich gerne einfach nur so da. Ich fühle mich dann ein bisschen, als wäre ich die Erde, die im endlosen Raum einfach so rumhängt. Diese raue Form des Daseins und die Konsequenz, mit der Planeten einfach nur sind, beeindruckt mich. Ich weiß nicht genau woran es liegt, vermutlich an dieser leeren Reduziertheit, die Geröllklumpen im Weltall eben so an sich haben. Reduziert auf Materie und Raum, kein Geist, keine Psyche, nichts, das Grenzen auferlegt. Nichts, das erkennen will, und schon gar nichts, das könnte. Irgendwelche Bahnen verfolgend wird der Zufall, aus dem sie entstanden sind, ausgemerzt, weil sie nach Gesetzmäßigkeiten handeln, oder gehandelt werden. Sie kennen kein aktives Eingreifen, das ist ihr Glück.
An den tieferen Sinn hinter ihren Bahnen zweifle ich meistens, wenn ich so dasitze. Ich glaube nicht, dass irgendwer sie auf Ellipsen durchs All zieht, als wären sie Marionetten. Wie gesagt, es ist eben Zufall, dass sie da sind, wo sie sind - wie bei uns Menschen.
Manchmal glaube ich auch an einen Weltenmacher. Besser: früher glaubte ich öfter an ihn, wenn ich einfach so dasaß. Da schien es mir wahrscheinlicher, dass alles einen Sinn habe. Aber der Sinn geht mir irgendwann verloren, wenn ich ihn lange genug bedenke. Wir verfolgen keine Bahnen, und unterliegen Einem Sinn laufen wir nur hinterher, weil wir ihn nicht finden.
Wir könnten uns auch reduzieren, auf die Materie und den Raum, dann fühlten wir vielleicht so etwas wie Freiheit. Aber dann schon wieder dieses fühlen, und daraus dieses wollen, und dieses haben und vor allem nicht-haben und allein-sein und unglücklich-sein und alles, außer da sein. Dabei ist dies unsere einzige Pflicht: da sein. Oft vergessen wir, dass wir nur da-sein müssen, so lange wir wollen, denn: auch dieser Pflicht könnten wir uns entziehen...

Ich wünschte, ich wäre die Sonne. Die ist zwar ebenso sinnfrei wie wir Menschen, aber die leuchtet wenigstens noch ein paar Jahrtausende.

Donnerstag, 28. Juni 2007

Homo Sapiens

„Ich habe sie immer gefürchtet; was man auch dagegen tut: ihre Verwitterung. Überhaupt der ganze Mensch! – als Konstruktion möglich, aber das Material ist verfehlt: Fleisch ist kein Material, sondern ein Fluch.“

(Max Frisch)

Samstag, 2. Juni 2007

Du und der Mond

Mein Gott, war das seltsam, dich zu sehen...Ein Freund eines Freundes stellte uns vor. „Ja, ich glaube, wir kennen uns“ sagtest du, mit einem apathischen Lächeln auf den Lippen, und einem dieser durchdringenden Blicke, wie sie früher schon durch deine mattblauen Augen drangen, wenn du etwas suchtest, dass dir vorerst verschlüsselt in deinem Gegenüber nur als Deut irgendwo hinter Spiegeln der Seele verschmitzt winkte. „Ja, wir kennen uns“, erwiderte ich, unsicher, und ohne recht zu wissen, was nun geschehen sollte. Der Dritte lachte, er war ein Studienkollege von wem? Ich wusste es nicht, du kanntest ihn wohl besser, war er dein Freund? War ich jemals dein Freund? Deine Blicke – wieder diese suchenden, sanften und doch so gefährlichen blauen Blitze – zuckten durch den Rückspiegel seines Autos – er gab sich als Alex aus und ich musste dem Glauben – und trafen mich an empfindlichen Stellen. Mein Herz wollten sie durchleuchten, und meine Gedanken suchten sie. Die Autofahrt schien endlos, Gesprächsstoff war nicht zu finden, nur immer wieder dieser Gedanke: „Wie war noch dein Name?“, und du dachtest, ich wäre traurig; hast es mir später erzählt – angetrunken, heiter vom Grillfleisch und der rötlichen Abendsonne, vielleicht auch von einem der Joints, die bei Grillgelagen dieser Art gelegentlich die Runde machten – meintest du immer wieder, es gäbe keinen Grund zur Trauer, es wäre doch nichts gewesen, dieses eine Wochenende war doch nichts, wiederholtest du, offensichtlich mit ehrlichem Schuldgefühl und der nostalgischen Sehnsucht einer längst vergangenen Zeit im Hinterkopf. Du dachtest tatsächlich, du hättest eine Narbe hinterlassen, auf meiner so ledrigen, verkerbten Haut der Liebeserinnerung, die nur den leichten Schutz eines T- Shirts mit der Aufschrift „Verdrängen und Vergessen“ zur Verteidigung hatte, für dich allerdings reichte dieses T-Shirt, du warst nur ein kleiner Fleck darauf, warst nicht genug für einen Schnitt, geschweige denn einer Narbe. Was wolltest du nur, immer wieder Blicke werfend, ein seltsames Lächeln andeteund, im mittlerweile silbrigen Samt des Mondes, der flache Wolken und den nebligen Dunst einer lauen Sommernacht in hellen Glanz verzauberte. Ich stand immer abseits, beobachtete, du warst das Herz der Gruppe, ich nur ein Bein, eine Extremität. Ich kannte die Leute nicht, wollte sie nicht kennen lernen, und du warst nur auf der Suche nach mir, konntest aber nichts finden, außer meiner Hülle.

Am Lagerfeuer neben mir hast du meine Hand genommen, ich hielt nur meine Zigarette. Unschuldig hob sich dein gesenkter Kopf zu meiner Schulter, deine Augen blinzelten verlegen in die Meinen. „Ob aus uns was geworden wäre?“, fragtest du, deinen Körper gegen mich drängend, eine Antwort erwartend. Ich schwieg. Dein Kopf glitt mehr und mehr aus seiner Senke, stand nun auf einer Höhe mit meinem Kopf, deine messerscharfen Augen starrten gebannt in meine abwesende Bläue; in deinen Pupillen erkannte ich Fragmente meines Gesichtes; war es deine Seele, in die ich zweifelnd äugte? Im Hintergrund grinste schelmisch der Mond zwischen Baumwipfeln hervor, wie das Lachen eines kleinen Kindes im Gitterbett grinste er hervor, als führte er etwas im Schilde; Und ich vertraute ihm nicht, er schien mir tatsächlich gefährlich zu sein an diesem Abend. Mein Blick traf nun wieder dich, hast du mich tatsächlich die ganze Zeit über angestarrt, in der ich empfindungslos über den Mond sinnierte, oder schien die Zeit länger zu sein, als sie war? Plötzlich durchdrang dich ein eigenartiges Zucken, als würdest du aus Gedanken erwachen, und dein Kopf näherte sich auf gefährliche Distanz; ich dachte, du wolltest mich küssen, dabei verschwanden deine sanften Lippen - machten kurz vor den Meinen einen Satz zur Seite - langsam im toten Winkel meiner Augen, und ich spürte deinen Atem im Nacken, sodass die Nackenhärchen gespannt zur Standing- Ovation übergingen, und die Haut sich im Gänsemarsch bewegte. Ob das mit uns jemals angefangen hat, flüstertest du mir ins Ohr, dabei berührte deine Nase sanft mein Ohrläppchen, und ob es so gesehen dann jemals hatte enden können? Dabei kraulte deine freie Hand sanft mein blondes Haar, dass im Mond beinahe silbrig schimmern musste. Ich befreite meine Hand aus deinem Griff – zurückhaltend, ganz langsam und sanft entschlüpfte ich deiner zarten Hand – erhob mich langsam, hielt deinen Kopf, und küsste sanft deine Stirn. Stehend sah ich dir nocheinmal in die Augen – sie wirkten so ehrlich, so treu, ich fand nichts in ihnen, das auf Lüge deuten hätte können– und ging, langsam den Kopf abwendend zum Waldrand, wo ich den Mond fragend anstarrte, dabei unsicher eine weitere Zigarette anmachte und die letzten Schlücke vom ohnehin schon warmem Bier austrank. Ich überlegte; Was wollte ich? Der Mond grinste immer noch gleich verschmitzt; ich warf die leere Bierdose nach ihm, da er mir mittlerweile auf die Nerven ging. Danach wandte ich mich ab; als ich die Gruppe beobachtete sah ich dich, wie du vergnügt mit dem Fahrer vom Nachmittag – wie war sein Name noch, Alex (?) – tanzend immer wieder seine Lippen auf deine prallten. Ich ging auf dich zu, dein Gesicht war abgewandt und auf Alex fokussiert; ich nahm dich sanft bei den Hüften, und flüsterte dir ins Ohr: „Woher wusste ich nur, dass das mit uns von dir ohnehin beendet würde, bevor es Zeit zum Anfangen gehabt hätte?“
Irgendwie war dein Blick traurig, als ich mich langsam von der tanzenden Gruppe verabschiedete. Über dir hatte der Mond sein Grinsen verloren. „Er hatte wie immer recht, der alte Beobachter“, dachte ich und musste lachen.

Mittwoch, 23. Mai 2007

Zell am See

Zell ist ja immer eine Eigenart. Zell ist ja immer anders als alles Andere. Zell, das ist sozusagen die falsche Antwort auf all deine Fragen. Kein Scheiß, in Zell ist alles so, wie es nicht sein sollte, und jeder weiß das. Die Sache ist nur die: keiner weiß, wie’s sein sollte.
Nun gut, Zell ist schön, keine Frage. Ich bin hier ja aufgewachsen, war auch schön, da gibt’s gar nichts. Aber Zell bleibt stehen. Zell ist immer schon Zell, und das wird’s auch bleiben.

Was ich meine? Die Leute sind weg. Wo ist das Zell, in dem man noch mit 15 Leuten im Haus Gabi war, und jeden der alleine in der Wiese lag entweder bemitleidet, oder – was wahrscheinlicher ist – ausgelacht hat. Selbstreflexion, wenn man heute selber so allein da liegt, und die arroganten Schülergruppen aus England, Frankreich und meinethalben auch aus Zell so daliegen sieht, mit ihren Best- Friend 4 – ever Utopien und dem naiven Gedanken, das alles so bliebe und alles gut werde. Aber ich, der alleine liegende Eigenbrötler, kenne das, weiß, dass sich auch ihr Weltbild auf den Kopf stellen wird, wenn sie nur älter werden.
Anfangs wundert man sich noch, aber sobald man hier ohne Unterstützung auftaucht, sich also gegen den Rat der Freunde und Studienkollegen, auf das brüchige Eis der Jugenderinnerungen begibt, wird man sehr bald einbrechen, weil das bröckelige Fundament – der alte Freundeskreis, der längst nicht mehr hierherkommt – diesen Erinnerungen letzte Festigkeit raubt. Und überall trifft man Leute, die man ein wenig kennt – in Zell ist man immer unter Beobachtung, nie anonym, aber trotzdem allein – und nicht weiß, ob man grüßen, einen Smalltalk aufbauen oder irgendwas anderes machen soll, dass Einem normalerweise auf die Eier geht, hier allerdings den Tag retten könnte. Unter Sonnengläsern sieht man Facetten, die man eventuell kennen könnte. Winkt man? Zu unsicher. Geht man hin? Zu bemüht. Lässt man sich nichts anmerken? Exakt.
Und dann ist man allein, und man bereut, überhaupt hergekommen zu sein. Es ist langweilig, was macht man? Man spaziert im Regen. Man denkt nach, über Vergangenes und Zukünftiges, aber schlau wird man aus Zell ja doch nicht. Man überlegt, ob man Leute anrufen soll, die man normal nicht anruft, und lässt es bleiben. Man fährt mit dem Auto Seerunden, bis der Benzin alle ist, und geht danach zu Fuß, weil tanken Luxus ist. Man spaziert oder fährt Rad. Man ärgert sich über geflügeltes Insektengetier. Man greift zu Büchern, findet nur unverdauliche Anti- Heimat Literatur. Man schreibt seine Gedanken nieder, ließt sie, und fühlt sich dämlich, weil sie bescheuert sind. Man fragt sich:
Ist man noch zuhause?
Längst nicht mehr.

Dienstag, 3. April 2007

Wo die Vernunft starb, und der Einzelne im Dreck war

Lieblich waren die Gedanken, die mein Herz durchzogen. Sie kamen aus dem Kopf, kostümierten sich mit Gefühl, tanzten und berührten sich kaum.
Ein vornehmer Ball. Exklusive Kreise. Gesellschaft!
Die Feigheit mit der Tugend, die Lüge mit der Gerechtigkeit, die Erbärmlichkeit mit der Kraft, die Tücke mit dem Mut.
Nur die Vernunft tanzt nicht mit.
Sie hatte sich besoffen, hatte nun einen Moralischen und schluchzte in einer Tour "Ich bin blöd, ich bin blöd" -
Sie spie alles voll.
Aber man tanzte darüber hinweg.
Ich lausche der Ballmusik.
Sie spielt einen Gassenhauer: "Der Einzelne im Dreck"
Sortiert nach Sprache, Rasse und NAtion stehen die Haufen nebeneinander und fixieren sich, wer größer ist. Sie stinken, dass sich jeder Einzelne die Nase zuhalten muss.
Lauter Dreck! Alles Dreck!
Düngt damit!
Dünget die Erde, damit etwas wächst!
Nicht Blumen, sondern Brot!
Aber betet euch nicht an!
Nicht den Dreck, den ihr gefressen habt!
Ödön von Horváth in "Jugend ohne Gott", anspielend auf ein vernunftarmes Regime, einen dreckigen Krieg, der nur Dreck erwachsen ließ, und eine Generation, die diesen Dreck anzubeten wusste und die ihn auferstehen ließ um ein noch schlimmeres, vernunftärmeres Regime zu schaffen.
Schöne, verbotene Zeilen, die wie so oft nichts nutzten, und die - leider - wohl schon vergessen sind.

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