Im Schlamm stecken sie
in Springerstiefeln.
Sohlen ersaufen
im Dreck der Toten.
Der Rotz des Tages -
was man leben nennt -
es sickert in den Boden
einer rotbraunen Masse
hinein.
Saftig schmatzt der Gatsch
wenn wieder einer kommt.
Der letzte Lichtblick der Lebenden:
Hostien in Stahlbehältern
oder alten, durchlöcherten Helmen.
Lächerlich.
Losgelöst
von allen Pflichten
willst du nur noch eins -
willst nur noch dichten
Befreit
von allem Sollen
bleibt dir nur noch eins -
bleibt nur noch Wollen
Wohin
in deiner Freiheit
fragst du dich
Weg von diesem Wollen!
Und dichtest dir
ein neues Sollen.
Ich versuche wohl, auf Worte mich zu stellen
Meiner Blindheit Last durch Texte zu erhellen
Ein Spinnennetz, ein Leergerüst voll leerer Zeichen
Will Festigkeit, will Sicherheit, Standhaftigkeit erreichen
Doch wo nichts ist, kann auch nichts (sicher) sein
Es nistet Zweifel sich inmitten schörkeliger Zeilen
JA: Wo nichts ist, kann auch die Lüge nichts erschleichen
Die festen Gründe müssen einem Sumpfe weichen:
Nichts Hartes dringt aus flüss'gen Quellen.
Es bleiben Zettel nur des Geistes Zitadellen.
Ich, das ist ein Text, in dem ich hänge
Ich, das ist ein Fluss ohne Kontur
ein Haufen leerer Worte nur
die zu lesen selbst mit aller Strenge
notwend'ger Weise scheitern muss:
Ich: du unergründlicher Gedankenfluss.
Heute habe ich, wie man zu sagen pflegt, eine alte Bekannte getroffen. Die – nennen wir sie S – hat mir, eben so unverhofft wie unverblümt, von hinten auf die Schulter getippt, während ich gerade mit dem S telefoniert hat, der paradoxerweise die S auch kennt, aber, genau wie ich, selbige auch schon seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Auf einmal steht also am Schottentor – quasi dem Tor zur Weisheit, weil eben unsere Alma Mater, die Universitatis Viennensis an besagtem Tore fußt – die S hinter mir und grinst mir frech ins Gesicht, während ich dem S ins Telefon stottere, dass ich ihn später zurückrufen müsse.
„Servus“, sagt die S in legerem Ton, „wie geht’s dir denn, wir ham´ uns ja ewig nicht mehr gsehn.“
„Ja“, sag ich, es sei wirklich schon ewig her, und dass es mir eigentlich gut gehe. Dabei betone ich selbstverständlich das „eigentlich“, weil es eigentlich gerade und nur um dieses „eigentlich“ geht. Dieses eigentlich unterstreicht nämlich nicht nur, dass es einem gut geht, sondern eröffnet zugleich einen Möglichkeitsraum für das Gegenüber – in diesem Fall also für die S – der etwas geheimnisvoll, wenngleich aber auch wieder mitmenschlich solidarisch wirkt, weil – seien wir uns ehrlich – so richtig gut geht es uns nur selten, und jeder kennt den Zustand des Eigentlich-gut-gehens viel besser als den des Richtig-gut-gehens. Jetzt kann sich die S durch dieses „eigentlich“ gleich zwei interessante Fragen stellen: Einmal, warum es mir nur eigentlich, und nicht richtig gut geht, und dann noch einmal, ob es ihr selber richtig, oder aber nur eigentlich gut geht. Das kann sie vor allem, weil ich ja dem Anstande halber die Frage an sie, die S, retournieren muss und deshalb eben auch sie frage, ob es ihr denn gut gehe.
„Ja“, sagt sie, bei ihr passe eigentlich eh alles. Auch sie ist offensichtlich ein Opfer der Eigentlichkeit, auch sie eine Frau, denke ich mir, der es eigentlich, aber nicht so richtig gut geht. Man könnte ja auch einfach sagen, dass es einem schlecht geht, aber das Schlecht-gehen ist ja heutzutage ein sogenanntes Tabu. Es gehört ja – vor allem bei Bekanntschaften aus fernster Vergangenheit – zum guten Ton, eine fröhliche Miene aufzusetzen und selbst nach schlechten Tagen noch darauf zu bestehen, ein wunderbar fröhliches Leben zu führen, weil das einem wenn nicht der Stolz, so doch zumindest die Gesprächskultur gebietet. Wir wollen heutzutage einfach nicht mehr mit dem Unglück konfrontiert werden, und wir wollen es, wenn es uns doch einmal packt, nicht herzeigen, unser Unglück. Deshalb geht es uns nie richtig, sondern immer nur eigentlich gut, das erlaubt nämlich nicht nur, darauf zu beharren, an und für sich zu denen zu gehören, mit denen es das Leben gut gemeint hat, sondern das erlaubt noch vielmehr die Möglichkeit, dass es trotz unseres Eigentlich-gut-gehens immer noch besser sein könnte – was uns gewissermaßen vom Eindruck des Lügens befreit. Mit diesem eigentlich, denke ich mir, müssen wir gar nie wirklich sein, weil das Eigentlich-gut-gehen in Wirklichkeit überhaupt nichts heißt.
Was ich denn immer so mache, fragt mich die S. Ich weiß nicht, warum sie mich so anstrahlt: dass sie sich wirklich freut, mich zu sehen, kann ich mir nicht vorstellen, warum sollte sie? Wir haben uns seit Jahren nicht gesehen und selbst vorher war unsere Bekanntschaft eine sporadische, deren Intensivierung weder von mir, noch von ihr jemals ernsthaft angestrebt wurde. Ich erzähle ihr, von einer Welle des Enthusiasmus getragen – die Sonne scheint durch die Pfeiler der U-Bahn-Station in die Passage herein und ich freue mich zusehends darauf, diese wieder zu verlassen – dass ich eigentlich nur auf dem Weg zu meinem Rad sei, weil ich dieses gestern neben einem von mir sehr geschätzten Irish Pub habe stehen lassen müssen, weil man ja betrunken und ohne Licht nicht mehr durch Wien fahren soll. Dabei lächelt die S – vielleicht mag sie mich ja doch ein wenig, aber ich weiß es nicht und es ist mir auch egal.
„Fleißig“, wirft sie ein, die S, und ich verstehe nicht. „Na das Radlfahren“, sagt sie. Sie sei immer zu faul im Endeffekt mit dem Rad zu fahren und nehme dann, der Gemütlichkeit halber, die Bim oder die U-Bahn. Ich verstehe nicht, was an einer Bimfahrt im stickigen Wiener Sommer gemütlich sein soll, aber der zwanghafte Charakter des Gespräches sowie mein Desinteresse an einer Diskussion über das Radfahren überwiegen, sodass ich nur einwerfe, dass es eigentlich schon ganz fein und angenehm sei, das Radfahren, wenn man sich einmal überwunden hätte. „Damit“, denke ich mir, „hast du alle Möglichkeiten offen gelassen und kommst sowohl der Radfahrfaulheit als auch dem Radfahrenthusiasten ein Stück weit entgegen, weit genug jedenfalls, um einen Konsensus herzustellen, der eine Diskussion im Keim erstickt.“
Selbstzufrieden blicke ich die S an, während oben geschilderter Gedanke mir durch den Kopf wandert. Dabei überhöre ich, dass die S schon längst wieder irgendwas redet und bemerke erst spät, dass sie tatsächlich am Radfahren festhält. Sie redet irgendwas von Fitness, Gesundheit und der Umweltverschmutzung. Mich interessieren ihre Ausführungen zwar wenig, ich weiß aber auch nicht, wie ich ihnen entkommen soll, weshalb ich schließlich mein Handy aus der Tasche hole, beschäftigt auf das Display blicke, dann ein kurzes Kopfschütteln andeute und in das Handy hineinzureden beginne. Verlegen bedeute ich der S – obwohl ich gar keine Uhr trage – mit einem Blick auf meinen Unterarm, dass ich es eilig habe, weil ja bekanntermaßen mein gesundheits- und vor allem umweltförderndes Fahrrad auf mich warte. Die S sagt noch leise, dass sie sich freue, mich wieder einmal gesehen zu haben und auch ich deute an, dass es mir ähnlich ginge, was freilich ebenso erlogen war wie der Telefonanruf, die Uhr und die Eile. Nichtsdestoweniger schreite ich aus der U-Bahn-Passage in die Sonne hinaus, muss ob der Absurdität unseres Gespräches – wie kommt man darauf, nach einigen turbulenten Jahren im Leben zweier junger Menschen über das Fahrradfahren in Wien zu sprechen? - ein wenig in mich hineinlachen und erfreue mich dann dem Anblick meines Rades, weil es ja nicht selbstverständlich ist, dass ein solches Rad nach einer Übernachtung im Freien noch dort steht, wo es auch soll. Ich erblicke auch, dass das Irish-Pub den Gastgarten bereits offen hat, und denke mir, dass ein Bier jetzt eigentlich fein wäre. Ich setze diesen Gedanken prompt in die Wirklichkeit hinein, setze also mich zugleich in den Gastgarten hinein und bestelle mir ein Weißbier. Dabei denke ich mir, dass es mir wirklich, und nicht nur eigentlich, gut geht, auch wenn dass die S jetzt nicht mehr mitbekommt. Ich denke mir dann, dass es mit den Gesprächen über das Radfahren vielleicht ein bisschen so ist, wie mit dem Gedanken, jetzt schnell ein Bier in der Sonne zu trinken: auf solche Dinge kommt man eigentlich nicht, sie passieren einem. Ich nehme dann einen Schluck Bier und die S ist mir plötzlich sympathisch, weil ich mir vorstelle, wie sie sich in ihrer Verlegenheit auf ein Gespräch über das Fahradfahren fixieren muss, weil ihr auf die Schnelle nichts besseres eingefallen ist. Aber nur wenig später ist die S schon wieder aus meinen Gedanken verschwunden, so plötzlich, wie sie vorhin aufgetaucht war, weil mich auf einmal wirklich der S anruft und fragt, ob ich ein Bier trinken will. Und dann ist er gekommen, der S, und er ist wie immer geblieben. Auch mit dem S, denke ich mir, werde ich irgendwann einmal so blödsinnige Sachen geredet haben, früher, als wir uns noch nicht wirklich kannten, wie vorhin mit der S.
Eigenartig, denke ich mir, wie einem manche Menschen bleiben und andere nicht. Aber auch das, glaube ich, machen wir nicht wirklich, auch das, glaube ich, passiert uns eigentlich.
"Ehemals suchte man zum Gefühl der Herrlichkeit des Menschen zu kommen, indem man auf seine göttliche Abkunft zeigte: dies ist jetzt ein verbotener Weg geworden, denn an seiner Türe steht der Affe."
"Vielleicht, dass wir hier gerade das Reich unserer Erfindung noch entdecken, jenes Reich, wo auch wir noch original sein können, etwa als Parodisten der Weltgeschichte und Hanswürste Gottes, - vielleicht dass, wenn auch Nichts von heute sonst Zukunft hat, doch gerade unser Lachen noch Zukunft hat."
Nietzsche, Friedrich: Morgenröthe. § 49.
- ders. : Jenseits von Gut und Böse. § 223.
Es mag für den unwissenden Leser, für den, der mit unserer Thematik noch nicht oder nur all zu selten in Berührung kam, abstrus klingen, dass es Studenten gibt, die sich stupid studiert haben. Vor allem für die Angehörigen der sogenannten Steuerzahlerkaste, den wahren Stützen der Gesellschaft, der arbeitenden Mittelschicht – und zwar vor allem jener arbeitenden Mittelschicht, die sich nicht zu Schade ist, Stolz auf ihr das Gemeinwohl erhaltende Steuerzahlen zu sein – muss es sich wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen, wenn ihnen dämmert, dass sich so mancher auf Kosten ihrer hart erarbeiteten Steuern stupid studiert.
Freilich, es gibt auch Studenten, die schon vorher stupid waren. Man könnte natürlich argumentieren, dass der Studentenstand eben auch ein Querschnitt der Gesellschaft sei, und das dort wie im normalen Leben manche mehr, manche weniger am Kasten hätten. Solche Argumente bringen zumeist bildungspessimistische Zeitgenossen vor, die der Meinung sind, dass die Matura längst nicht mehr das sei, was sie einmal war, und das heute ein jeder – sei er noch so blöd – besagte Matura bestehen könne, wenn er nur genug wolle.
Nun, man muss dieser Sicht der Dinge ihr Recht zugestehen: es ist heute – und vielleicht durchaus mehr, als früher, wer bin ich schon, dies abzuschätzen – wirklich nichts elitäres mehr daran, maturiert zu haben. Es stellt, so die Bildungspessimisten, durchaus nur noch einen Akt des Erwachsenwerdens jeder nicht völlig verhauten Kindsnatur, dar. Insofern also sei es nur logisch, dass sich auch auf den Universitäten mehr und mehr der Durchschnitt – und davon noch der untere, weil der obere sich eine private Bildung leiste – wiederfinde, und dass, eo ipso, die Universität selber langsam verdumme.
Der Bildungspessimist ist jedenfalls ein elitärer Denker, der meint, die Dummheit oder Schlauheit eines Menschen sei ihm angeboren und nur der von vornherein schlau geborene habe ein Anrecht auf elitäre Bildung, damit diese auch tatsächlich elitär bleibe und nicht zu einem Durchschnittsgewächs verfalle, das von Parasiten befallen und von Umkraut umzingelt langsam aber sicher auf seine völlig Auslöschung zuvegetiert.
Einen solchen Geistesnaturalismus denkt der Bildungspessimist sich also aus, damit die Guten oben und die Obigen gut bleiben. Vielleicht hat der Bildungspessimist auch recht in dem, was er denkt. Ich aber meine doch Fälle beobachtet zu haben, in denen der Stupidisierungsgrad der Studiendauer korrespondiert. Solche Fälle würden einem anderen, in erster Linie pädagogisch- optimistischen Menschenbild entsprechen, wie man es noch in den Sechzigerjahren gerne zeichnete und wie es sich heute überall breitgemacht hat, weil man es damals eben wirklich glaubte. Dieses pädagogisch- optimistische Menschenbild geht davon aus, dass der Mensch nicht dumm ist, sondern dumm gemacht wird. Dies übernimmt wahlweise die Elternschaft, die Gesellschaft oder, meinetwegen, auch das Fernsehen, jedenfalls ist in einer solchen Einschätzung der Lage der Student nicht immer schon stupid, sondern er ist ein Produkt verschiedenster Stupidisierungsprozesse.
Wenn wir uns nun Fällen zuwenden, in denen die Stupidisierung erst mit dem Studium einsetzt, darf davon ausgegangen werden, dass nicht die Eltern oder das Fernsehen, sondern tatsächlich der Prozess des Studiums selbst den Studenten stupid macht. Einem solchen Prozess unterliegen meinen Nachforschungen zufolge zumindest drei klar unterscheidbare Typen.
Der erste dieser Typen ist der so genannte Bummelstudent. Ihm steht die Stupidität freilich ins Gesicht geschrieben, bzw. hat er sich seine eigene Blödheit – um einen Nietzscheanischen Terminus zu verwenden – einverleibt. Er hat sich eine zunächst äußerliche Dummheit, die als Weisheit getarnt war, verinnerlicht und dann wieder nach außen gekehrt. Diese sehr technische Formulierung mag mit einem Beispiel aufgehellt werden:
Zu Beginn seines Studiums ist der Bummelstudent einer unter vielen und hebt sich optisch nicht groß von seinen Komilitonen ab. Zu Beginn des zweiten Semester bemerkt man einen zunehmenden äußeren Verfall, der sich in mangelnder Hygiene, kaputten und schmutzigen Klamotten, fettigen ungewaschenen Haaren und körperlichen Ausdunstungen aller Art bemerkbar macht. Diese Veräußerlichung korrespondiert der verinnerlichten Dummheit, dass es nicht auf Äußerlichkeiten ankäme, was natürlich ein offensichtlicher Widerspruch ist. Da aber dem Bummelstudenten diese verinnerlichte Dummheit beim ersten Kontakt als Weisheit erschien, übernahm er sie und trägt nun den verinnerlichten Grundsatz, dass es nicht auf Äußerlichkeiten ankäme, in die Welt hinaus. Er hat diese Weisheit vermutlich bei einer so genannten subversiven Diskussion oder einem subversiven Professor aufgeschnappt und sie mittlerweile zur Überzeugung, dass die Gesellschaft als solche verachtenswert und somit zu unterlaufen wäre, ausgebaut, weshalb sich auch sein Studium in unerwartete Längen zieht, weil schnell studieren ein Beugen vor dem Leistungsdenken der Gesellschaft wäre und also nicht in Frage kommt. Nicht nur seinen Eltern steigt bei den seltenen Besuchen des von ihnen gesponserten „Studierten“ der Wutschweiß in den Kopf, wenn er ihnen seine Weltsicht offenlegt, die er freilich mit Anlehnung an die allergrößten Denker von Diogenes in der Tonne bis zu Karl Marx ausschmückt. Nicht nur seine vom Wutschweiß durchtränkten Eltern beschleicht also der Verdacht, der hier als bestätigt gelten darf, nämlich dass ihr Sohn sich stupid studiert hat.
Die zweite Form des Stupidstudierens ist weniger offenkundig als die erste. Es handelt sich hierbei nämlich um einen Fall, der im Gegensatz zum Bummelstudenten mit einer gehörigen Portion Arroganz und Eitelkeit daherkommt. Diesen zweite Fall möchte ich „den Erfolgsmenschen“ nennen (dies vor allem deshalb, weil die Überlegung naheliegt, dass der Erfolgsmensch eine über Stände erhabene Klasse Mensch darstellt, die also in jeder Schicht anzutreffen sind, egal ob studiert oder nicht).
Auch der Erfolgsmensch hebt sich eingangs nicht sonderlich von seinen Mitstudenten ab. Aber schon nach kurzer Zeit, womöglich schneller als der Bummelstudenten, beginnt der Erfolgsmensch, sich seinem noch nicht vorhandenen aber mit Sicherheit bald einsetzenden Erfolg entsprechend zu kleiden und zu verhalten. Seine Erfolgsgeilheit ist ihm dabei ins Gesicht geschrieben und er strotzt vor Selbstvertrauen, weil man, wie er glaubt, um erfolgreich zu sein, vor Selbstvertrauen strotzen muss. Auch er verwandelt sich nämlich nicht ohne theoretische Absicherung: er verfällt dem vielleicht fatalsten aller Irrtümer: der Überzeugung, seines eigenen Glückes Schmied zu sein. Der Erfolgsmensch vermeint, der Welt durch seinen Erfolg am Besten zu dienen und er meint vor allem, dass dieser Erfolg prinzipiell jedem möglich sei und er nur besser sein müsse als alle anderen. Dies führt zu unangenehmen Nebeneffekten, derer mindestens drei zu erwähnen sind. Einmal, dass der Erfolgsmensch zu Beginn seines Studiums mittels besagter Überzeugungen auch gleichzeitig beginnt, alles und jeden auf der Welt als Konkurrenten zu betrachten.
Danach, dass der Erfolgsmensch beginnt, sich seinem einsetzenden Studienerfolg selbst zuzuschreiben und infolgedessen sein Konkurrenzdenken auf die Spitze getrieben wird, indem er nun seine Mitmenschen nur noch als potentielle, nicht mehr als eigentliche Kontrahenten betrachten muss, weil er nun glaubt, ohnehin viel besser zu sein als alle anderen. Dies macht ihn nicht nur zu einem arroganten und eitlen, sondern zu einem unsympathischen und unerträglichen Komilitonen.
Und schließlich, dass der Erfolgsmensch dann, wenn er merkt, dass sein Erfolg ausbleibt, beginnt vor sich hin zu bittern. Weil ihm diese Bitterkeit nicht schmeckt und der Erfolgsmensch immer schon dem Highlife verhaftet war, verhält er sich trotzdem, als hätte er Erfolg und Geld und spült sie so hinunter, die Bitterkeit, wenigstens für die Nacht. Das muss er auch, denn ohne Alkohol wirkt er kaum noch erfolgreich, weil ihm dann der Witz, der Esprit, der Charme und das Selbstvertrauen fehlen. Auch er ist also einer Blödheit verfallen, auch er hat sich stupid studiert.
Zu guter Letzt ist noch vom schwierigsten und schwerwiegendsten Fall des Stupidstudierens zu berichten. Ich möchte ihn den „Wissenschaftstypus“ nennen, weil er immer schon ein ungemein interessierter Mensch war, der immer schon überall alles ganz genau wissen wollte und immer schon überall viel genauer hingeschaut hat als alle anderen – zumindest erzählt das der Wissenschaftstypus, wenn rundherum andere Menschen stehen, die ihm seinen Wissenschaftspathos auch noch glauben. Freilich, er selbst glaubt sich diesen Pathos auch. Für ihn gibt es überhaupt nur ein Interesse: das Sein als solches. Diesem Interesse geht der Wissenschaftstypus auf den verschiedensten Wegen nach: der Physik, der Biologie, der Philosophie etc.
Auch er hat sich zu Beginn seines Studiums nicht viel von seinen Mitmenschen unterschieden. Aber er hat dann rasch begriffen, dass er viel fundamentaler, ja viel eigentlicher fragt als alle anderen. Deshalb kann er alles und jeden innerlich verachten, schließlich hat er, und nur er, den Wettlauf gegen die Zeit aufgenommen und sich der Wahrheit selbst gewidmet.
Der Wissenschaftstypus wird mit zunehmendem Studienverlauf immer eigenartiger, weil sich die Wahrheit ihm nicht zeigen will. Er hat nach ein paar Jahren Studium wie ein Verrückter Bücher in sich hineingestopft, Formeln auswendig gelernt oder Froschschenkel seziert, aber so richtig, dünkt ihm, ist auch er nicht schlauer geworden.
Und tatsächlich: auch er, der Wissenschaftstypus, ist nicht schlauer. Weil er aber zumindest irgendwann bemerkt, dass er nicht wirklich schlauer wird, ist auch seine Stupidität die ungefährlichste und wird, wie ich meine, durch diese späte Einsicht zumindest gemildert. Aber auch er hat sich eine ganze Zeit lang stupid studieren müssen, mit dem paradoxen und zweifelhaften Erfolg, zumindest zu bemerken, dass er immer blöder wird.
Sollten meine Nachforschungen den Tatsachen, von denen sie abgeleitet wurden, tatsächlich entsprechen, muss natürlich vieles überdacht werden. Es stellt sich dann die Frage, ob der naturalistische Bildungspessimismus durch einen pädagogischen ersetzt werden sollte, und – wenn wir wirklich gewillt sind, das zu tun – ob wir in einer solchen Situation als Gesellschaft nicht die Studenten abschaffen sollten. Dies würde nämlich nicht nur den nunmehr entsetzten Steuerzahler, sondern vor allem dem Studierenden zu Gute kommen, weil der Student in seinem lächerlichen Studententum dem Studierenden schlicht und einfach zuwider ist. Wer nämlich auf die Uni geht, um zu studieren, bemerkt rasch, wer auf die Uni geht, um Student zu sein. Und wer sich auf den Umstand Student zu sein etwas einbildet, der gehört nicht aus-, sondern rausgebildet.
In welchem Namen frugest du?
Du warst es doch, der Gott getötet
und Geist und Wahrheit mit dazu
gewiss, du wärst errötet
hättest du gesehen, was nach dir kam
Wahres hast du wohl geschrieben
des Nichts da capo rufender Imam
du bist bis heute wahr geblieben -
- Hast uns das Lügen ausgetrieben
doch glaubt man dir
und dem Rauschen deiner Zeilen
zeigst du dich selbst als großer Lügner
dessen Wahrheiten bis heut' verweilen.
"Wem es niemals zugestoßen ist, daß er den fälligen Griff an der Maschine verfehlte und dem wortlos weiterwandernden Fließbande ungläubig nachblickte; wer sich niemals an die Küste seines alten Ichs verschlagen vorfand und es niemals erlebt hat, was es heißt, plötzlich sich wiederzufinden, gerade sich; wessen Blick niemals befremdet auf seine Hände fiel, auf diese tölpelhaften, deren Obsoletheit und unverbesserliche Inkompetenz seinen Fall verschuldet hatte - der weiß nicht, welche Scham die Scham von heute ist, welche Scham heute täglich tausende Male ausbricht. Und wer ihre Realität bestreitet, der tut es, weil zuzugeben, daß wir es so herrlich weit gebracht haben, uns vor Dingen zu schämen, ihm die Schamröte ins Gesicht triebe. -"
Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen I. Über die Seele im Zeitalter der zweiten technischen Revolution. Verlag C.H. Beck. München. 2010. S. 95.